50 Jahre Bundesverfassungsgericht
Das Lüth-Urteil
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Das Bundesverfassungsgericht feierte in den letzten Monaten zu verschiedenen Gelegenheiten seinen 50. Geburtstag, hier Beispiele:
Pressemitteilung Nr. 86/2001 vom 29. August 2001
50 Jahre BVerfG - Bundesfinanzminister übergibt Sondermünze
Am Mittwoch, den 5. September 2001, um 11.00 Uhr wird der Bundesminister der Finanzen, HANS EICHEL, die aus Anlass des 50. Jubiläums des Bundesverfassungsgerichts herausgegebene Sondermünze und Sonderbriefmarke der Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts übergeben... Anschließend wird im Foyer des Bundesverfassungsgerichts die Ausstellung Im Namen des Volkes...50 Jahre Bundesverfassungsgericht des Bundesarchivs Koblenz von dessen Leiter Prof. Dr. WEBER eröffnet. Diese Ausstellung gibt auf insgesamt 13 Text- und Bildtafeln einen Einblick in die Entstehungsgeschichte des höchsten deutschen Gerichts und die Anfangszeit seiner Arbeit. Die Errichtung dieser in der deutschen Geschichte neuartigen Institution, seine Aufgaben, der Status der Richter und die Bedeutung der Rechtsprechung werden beleuchtet.
Parallel findet eine Ausstellung des Stadtarchivs Karlsruhe zur Baugeschichte des Bundesverfassungsgerichtsgebäudes statt...
Eine andere Ausstellung über das Bundesverfassungsgericht selbst und nicht über seine Baugeschichte, wurde offenbar im Mai mit besseren Öffnungszeiten gezeigt wurde:
Geschichte: Ausstellung zu 50 Jahren Grundgesetz im Bundesverfassungsgericht (Karlsruher Stadtzeitung)
(cal) "In diesem Jubiläumsjahr gilt es, kritische Bürgerloyalität herauszufordern", mahnte die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Dr. JUTTA LIMBACH, bei Eröffnung der Ausstellung zum 50-jährigen Bestehen des Grundgesetzes (GG). Ob es auch heute noch "In bester Verfassung ?!" ist - mit dieser Frage können sich Besucherinnen und Besucher noch bis 3. Juni im Foyer des Gerichts beschäftigen und nebenbei auch einen Fuß in das sonst nicht ohne weiteres zugängliche Haus setzen. Dort erwartet sie eine auf den ersten Blick verwirrende Fülle von Informationen.[...]
Wer das und noch vieles mehr nach dem Besuch der Schau nochmal Revue passieren lassen will, dem sei der klar gegliederte, 250 Seiten umfassende Katalog empfohlen. Zum Preis von 24,80 ist er im Verlag Dr. OTTO SCHMIDT erschienen. Die von der Bundesrechtsanwaltskammer und der Bundeszentrale für politische Bildung ausgerichtete Wanderausstellung ist im Foyer des Bundesverfassungsgerichts bei freiem Eintritt montags bis sonntags von 10 bis 19 Uhr, donnerstags auch bis 21 Uhr geöffnet. Am 12. Mai ist sie geschlossen.
Diese Marke ist nicht aktuell:
http://www.s-line.de/homepages/ebener/BuVerfGericht-Brd0879.jpg
MANFRED EBENER zeigt in seinem Baden-Württemberg-Lexikon auch ein Postwertzeichen von 2000 mit dem Erbherzogliches Palais in Karlsruhe, Sitz des Bundesgerichtshofs.
Prinz-Max-Palais - Geschichte des Hauses zeigt das Gebäude, das das BVerfG bis 1969 benutzte.
Wie das BVerfG seine Aufgaben beschreibt, ist sehr verkürzt:
Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wacht über die Einhaltung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland. Seit seiner Gründung im Jahr 1951 hat das Gericht dazu beigetragen, der freiheitlich-demokratischen Grundordnung Ansehen und Wirkung zu verschaffen. Das gilt vor allem für die Durchsetzung der Grundrechte.
Zur Beachtung des Grundgesetzes sind alle staatlichen Stellen verpflichtet. Kommt es dabei zum Streit, kann das Bundesverfassungsgericht angerufen werden. Seine Entscheidung ist unanfechtbar. An seine Rechtsprechung sind alle übrigen Staatsorgane gebunden.
Die Arbeit des Bundesverfassungsgerichts hat auch politische Wirkung. Das wird besonders deutlich, wenn das Gericht ein Gesetz für verfassungswidrig erklärt. Das Gericht ist aber kein politisches Organ. Sein Maßstab ist allein das Grundgesetz. Fragen der politischen Zweckmäßigkeit dürfen für das Gericht keine Rolle spielen. Es bestimmt nur den verfassungsrechtlichen Rahmen des politischen Entscheidungsspielraums. Die Begrenzung staatlicher Macht ist ein Kennzeichen des Rechtsstaats.
Die offiziellen Links des BVerfG führen nur zu anderen obersten Gerichten und obersten Bundesbehörden. Insgesamt findet man im WWW nicht sonderlich viel zum Jubiläum. Zu fast allen Themen der Politik wurde das Bundesverfassungsgericht schon angerufen, aber umfassende Darstellungen fehlen online. Selbst wo es leicht möglich wäre, wird nur ein Auszug veröffentlicht: Auszug aus dem Referat (ohne Grafiken) "Das Bundesverfassungsgericht"
Der bayerische Rundfunk hat selbst ein paar Urteile ausgesucht, und zwar:
... zum Parteienverbot, der jahrzehntelangen Diskussion zum Schwangerschaftsabbruch und zwei wichtige Entscheidungen, die den Stellenwert der Grundrechte unterstreichen. Auf der folgenden Seite finden Sie die Urteile zur Volkszählung, dem Vertrag von Maastricht, zum Zitat "Soldaten sind Mörder", die Entscheidungen über die Sitzblockaden von Mutlangen und das Kruzifix-Urteil.
Die Auswahl gibt einen Hinweis darauf, daß selbst solche Selbstverständlichkeiten, wie im "Soldaten-sind-Mörder"-Urteil und im Kruzifix-Urteil ausgesprochen, in manchen Gegenden noch Erstaunen und heftigere Reaktionen hervorrufen.
Weitere Links:
Ich lasse mich aber nicht verleiten, selbst eine Übersicht zu geben, dazu fehlt mir die Zeit, sondern greife nur ein Thema bzw. ein Urteil heraus, daß mich selbst betrifft, wenn ich fordere:
Boykottiert die Norisbank! |
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Wer wissen will, warum in Deutschland das Wort sei frei geführt werden kann, warum Tierschützer wegen kanadischer Robbenschlächter den Kürschnern die Kunden vergraulen dürfen, warum Greenpeace deutsche Autofahrer aufrufen kann, die Shell-Tankstellen zu meiden, um den Konzern für umweltgefährliche Bohrinselentsorgung zu bestrafen, warum also in Deutschland im Streit mit mächtigen Wirtschaftsunternehmen auch der Boykott ausgerufen werden kann, ohne daß man für den Geschäftsverlust haften muß, der muß den Fall des ERICH LÜTH studieren, eines Hamburger Querkopfes, so hat er sich einmal selbst charakterisiert.
Im September 1950, LÜTH war damals Leiter der staatlichen Pressestelle der Stadt Hamburg, sollte der die Woche des Deutschen Films eröffnen und war entsetzt. Auf der Liste der Regisseure, die das Nachkriegspublikum mit heiteren Filmen aufmuntern wollten, las er den Namen VEIT HARLAN, den Namen des Film-Regisseurs von Jud Süß, dem dämonischen Film zur Untermenschenpropaganda der Nazis.
Der Fall LÜTH. Ein Bürger schreibt Verfassungsgeschichte
DLF 11.5.1999
von: MICHAEL REISSENBERGER
VEIT HARLAN war der Regisseur des antisemitischen Propagandafilmes "Jud Süß". Heute hat er eine eigene Domäne, sein Film auch, die das Shoa-Netz angemeldet hat, natürlich nicht, um ihn zu preisen. Dort heißt es u.a.:
Aufgrund dieses Films wurde gegen HARLAN nach dem 2.Weltkrieg zweimal Anklage erhoben wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit (1949 und 1950). Jedoch wurde er freigesprochen, da man ihm die Verantwortung für die Endfassung des Filmes nicht eindeutig nachweisen konnte. In den fünfziger Jahren konnte er seine Regiekarriere fortsetzen. Es entstanden Filme wie Unsterbliche Geliebte (1950), Verrat an Deutschland (Der Fall Dr.Sorge), (1954), und Anders als du und ich (1957). Am 13.4.1964 starb VEIT HARLAN auf Capri. Weitere seiner Filme sind: Der Herrscher (1937), Jugend (1938), Die Reise nach Tilsit (1938), Das unsterbliche Herz (1939), Die goldene Stadt (1942), Immensee (1943), Opfergang (1944). Zu weiteren lesenswerten Texten im Shoa-Netz zählen: |
http://www.veit-harlan.de/pictures/PosterJudSuss.jpg |
Der Prozeß gegen VEIT HARLAN war kürzlich noch Gegenstand eines dokumentarischen Films von HORST KÖNIGSTEIN - "Jud Süß - Ein Film als Verbrechen?" - im ARTE- und ARD-Programm. Der MDR berichtete schon früher über den Regisseur: ARD Kulturreport 28.2.1999: VEIT HARLAN - des Teufels Regisseur Der junge Regisseur fällt auf. Für die Regiearbeit an der Industriellensaga "Der Herrscher" erhält HARLAN den nationalen Filmpreis. "Modern und nationalsozialistisch. So, wie ich mir die Filme wünsche." notiert GOEBBELS in sein Tagebuch. Fortan macht er die Filme, die die Nazis brauchen. Er will drehen. Um jeden Preis! Wem er sich dabei andient, will er angeblich nicht durchschaut haben |
http://www.das-erste.de/kultur/beitraege/990228_4/image1.jpg |
MICHAEL MAREK weist auf einige Ungereimtheiten in den Prozessen gegen VEIT HARLAN aufmerksam: Den Belastungszeugen wurde das Belastende abgesprochen. Im Falle des Kronzeugen NORBERT WOLLHEIM etwa, dem Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde der britischen Zone, hieß es: "Die Angst der Juden vor dem Film ist lediglich auf die aufreizende Reklame zurückzuführen, nicht aber auf den Film selbst, dessen so milde Form die Juden als eine Erleichterung empfunden haben", so der Vorsitzende Richter WALTER TYROLF in seiner Begründung für HARLANs Freispruch. Sein Freispruch wurde ein Jahr später im Revisionsprozeß sogar mit dem Zusatz bestätigt, HARLAN habe die Arbeit an "Jud Süss" aus einem Befehlsnotstand heraus begonnen. Verantwortlich für dieses exemplarische Urteil: Richter WALTER TYROLF. Der wiederum war während der NS-Zeit Staatsanwalt am Sondergericht Hamburg und hatte in mehreren Bagatellfällen wie leichtem Diebstahl und "Rassenschande" für die Todesstrafe plädiert, die auch vollstreckt wurde. Trotzdem erhielt auch TYROLF nach dem Krieg eine Unbedenklichkeitserklärung. Er wurde unter anderem Vorsitzender Richter im Hamburger Euthanasieprozeß, der fast zeitgleich zum HARLAN-Verfahren lief. Wieder ging es um Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wieder sprach TYROLF die wegen Totschlags angeklagten Ärzte frei. Ende der 50er Jahre wurde gegen TYROLF wegen seiner Tätigkeit am Sondergericht ermittelt. Doch das Verfahren wurde eingestellt - mangels Tatverdacht, wie es offiziell hieß. |
http://www.dhm.de/lemo/objekte/pict/veit1bio/200.jpg |
Der SPIEGEL schreibt über eine Vorführung des KÖNIGSTEINschen Dokudramas:
Vor Gericht lehnte HARLAN, der auch für den Durchhaltestreifen "Kolberg" (1943/44) verantwortlich zeichnete, jede Verantwortung ab. Im Gegenteil: Er verwehrte sich gegen den Antisemitismus-Vorwurf - dieses sei nicht sein Film, und GOEBBELS hätte ihn eigenhändig umgeschnitten.
Es wird schnell deutlich, dass es im Prozess um mehr als nur um HARLANs moralische Integrität ging. Wenn der "Jud Süß"-Regisseur verurteilt worden wäre, hätte dies Konsequenzen für die ehemaligen Mitglieder der gesamtem Reichsfilm-Industrie gehabt. Die Einsicht in die bisher unveröffentlichten Gerichtsunterlagen förderte der Ernsthaftigkeit des Verhandlungsgegenstandes zum Trotz allerdings auch allerlei Trivialitäten aus der NS-Zeit zutage, wie das Nacktbad von Harlans zweiter Gattin und Lieblingsschauspielerin KRISTINA SÖDERBAUM in Venedig vor den Augen von GOEBBELS. "In der Tat hatten der Regisseur und seine Muse im Dritten Reich einen Status wie heute Popstars - und dieses Bewusstsein trugen sie auch im Nachkriegsprozess zur Schau", sagt KÖNIGSTEIN.
Dies wird am Ende des Films deutlich, wenn AXEL MILBERG alias VEIT HARLAN sich nach dem Freispruch auf den Schultern seiner Anhänger aus dem Gerichtssaal tragen lässt.
Sein eigenes Verhältnis zu HARLAN sei zwiegespalten. Er betrachte ihn zwar als "virtuosen Handwerker", finde dessen Arbeiten aber jenseits aller moralischen Fragen zu holzschnittartig. "Es haben mich eher die Allmachtsphantasien des Künstlers HARLAN interessiert als seine Filme, die zu steril und oberflächlich betriebsam waren", findet KÖNIGSTEIN, der nach der ARNOLD-ZWEIG-Adaption "Das Beil von Wandsbek" (1982) und der Star-Club-Hommage "Hard Days, Hard Nights" (1990) mit dem Prozess an HARLAN nun ein weiteres Kapitel Hamburger Stadtgeschichte des 20. Jahrhunderts filmisch beleuchtete. In seinem nächsten Projekt, einer reinen Dokumentation über GOEBBELS, wird übrigens das nicht verwendete Interviewmaterial der HARLAN-Zeitzeugen einfließen.
Beim emotionsgeladenen Publikumsgespräch in Emden berichtete ein ehemaliger Hitlerjunge: "Wir mussten damals in Uniform ins Kino und hätten uns danach am liebsten einen Juden gepackt. Harlan ist schuldig. Er ist ein Schreibtischtäter - und ist später auch von Schreibtischtätern freigesprochen worden." Im Gegensatz zu ihm haben die meisten der anwesenden Zuschauer den kompletten "Jud Süß"-Film von HARLAN wohl nie gesehen, weil bis heute ein Vorführungsverbot besteht, das nur durch neue Diskussion aufgehoben werden kann.
HARLANs Ehefrau KRISTINA SÖDERBAUM starb Anfang dieses Jahres. "Er machte seine Frau zum Star, ließ sie tragische und melodramatische Rollen spielen, deren Leben oft im Wasser oder Moor endete. "Reichswasserleiche" wurde die SÖDERBAUM deshalb auch ironisch genannt."
Über das historische Vorbild für den Film, JOSEPH SÜSS OPPENHEIMER, erfahren wir:
JOSEPH SÜSS OPPENHEIMER wurde in den 90er Jahren des 17. Jahrhunderts in Heidelberg als Sohn einer reichen, angesehenen und weitverzweigten Kaufmannsfamilie geboren. Seine Jugend verbrachte er in der Stadt am Neckar, ehe er in den Jahren 1713 bis 1717 lange Reisen nach Amsterdam, Wien und Prag unternahm. Nach seiner Rückkehr betätigte er sich in der Pfalz erfolgreich als Geld- und Warenhändler. 1732 lernte er in dem Kurort Wildbad den Prinzen KARL ALEXANDER von Württemberg kennen. KARL ALEXANDER, kaiserlicher Generalfeldmarschall und Generalgouverneur in Serbien, gehörte der Wittenthaler Seitenlinie des Fürstenhauses an und war 1712 zum Katholizismus konvertiert, um die katholische Prinzessin MARIA AUGUSTA von Thurn und Taxis heiraten zu können. Noch im selben Jahr ernannte er SÜSS OPPENHEIMER zu seinem Hof- und Kriegsfaktor, ein Amt, das sich ausschließlich damit beschäftigte, den Hofstaat des Fürsten zu organisieren und zu finanzieren.
1733 wurde KARL ALEXANDER Herzog von Württemberg, als der regierende Herzog EBERHARD LUDWIG kinderlos starb. Das neue Amt brachte den katholischen Herzog zwangsläufig in Konflikte mit den protestantischen Landständen, die nicht gewillt waren, die Prunksucht des neuen Herzogs zu finanzieren. Die württembergische Verfassung sicherte ihnen das Recht der Steuerbewilligung, der Mitwirkung bei Gesetzen und die Kontrolle der landschaftlichen Steuerkasse zu. SÜSS OPPENHEIMER, anfangs herzoglicher Resident in Frankfurt, konnte seinen Einfluß auf KARL ALEXANDER rasch ausdehnen. Mit der Einrichtung von Monopolen, einer staatlichen Lotterie und der Gründung einer württembergischen Staatsbank gelang es ihm, die Privatschatulle des Herzogs wieder zu füllen. Ein Novum stellte die Ernennung OPPENHEIMERs zum Direktor der staatlichen Münze dar, einer ungewöhnlich exponierten Stellung, die Juden bis dahin verschlossen war. Doch erst seine rigide Steuerpolitik machte SÜSS OPPENHEIMER zum Symbol von Geldgier und Machtstreben. Der Herzog, der auf sein Steuererhebungsrecht ohne Mitwirkung der Landstände pochte, führte auf sein Anraten mehrere Steuern ein, die die Bevölkerung verbitterten. JOSEPH SÜSS OPPENHEIMERs persönlicher Lebenswandel stand dem des Herzogs dabei in nichts nach. Streben nach Luxus und Zurschaustellung von Reichtum brachten ihm Neid und Mißgunst ein. Doch dank seines innigen Freundschaftsverhältnisses verteidigte der Herzog ihn gegen alle Anfeindungen des Hofstaates. Seine Beförderung zum Geheimrat stellte in einem deutschen Land der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts einen bis dahin beispiellosen Vorgang dar. Darüber hinaus sprach ein herzogliches Dekret am 12. Februar 1737 SÜSS OPPENHEIMER von jeglicher Verantwortung für alle vergangenen und zukünftigen Handlungen frei. Dennoch galt der Jude nach wie vor in der Öffentlichkeit als der Urheber aller Mißstände, insbesondere, als Pläne bekannt wurden, in Württemberg gewaltsam ein absolutistisches Regime einzuführen und das Land zu katholisieren. Als am 12. März 1737 der Herzog unerwartet einem Schlaganfall erlag, wurde SÜSS OPPENHEIMER sofort verhaftet.
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In der Abteilung, in der ich arbeite, arbeiten auch zwei junge Juristinnen. Die habe ich nach dem Lüth-Urteil befragt, aber keine kannte es. Von mir aufgeklärt, meinte eine "Ö-Recht hat mich schon im Studium nicht interessiert". Es ist aber nicht nur öffentliches Recht, sondern das Urteil betrifft natürliche und juristische Personen ohne hoheitliche Funktion. Deshalb spricht man in diesem Zusammenhang von der "Drittwirkung der Grundrechte".
Wie löste ERICH LÜTH die Aufgabe, die "Woche des deutschen Films" zu eröffnen?
Am 20. September 1950 nun hält LÜTH einen Eröffnungsvortrag zur "Woche des deutschen Films" vor Filmverleihern und Filmproduzenten, in dem er sich folgendermaßen äußert:
"Nachdem der deutsche Film im Dritten Reich seinen moralischen Ruf verwirkt hatte, ist allerdings ein Mann am wenigsten von allen geeignet, diesen Ruf wiederherzustellen: das ist der Drehbuchverfasser und Regisseur des Films "Jud Süß". Möge uns weiterer unabsehbarer Schaden vor der ganzen Welt erspart bleiben, der eintreten würde, indem man ausgerechnet ihn als Repräsentanten des deutschen Films herauszustellen sucht. Sein Freispruch in Hamburg war nur ein formeller. Die Urteilsbegründung war eine moralische Verdammung. Hier fordern wir von den Verleihern und Theaterbesitzern eine Haltung, die nicht ganz billig ist, die man sich aber etwas kosten lassen sollte: Charakter. Und diesen Charakter wünsche ich dem deutschen Film. Beweist er ihn und führt er den Nachweis durch Phantasie, optische Kühnheit und durch Sicherheit im Handwerk, dann verdient er jede Hilfe und dann wird er eines erreichen, was er zum Leben braucht: Erfolg beim deutschen wie beim internationalen Publikum." (BVerfGE 7, 198 (199))
Auf Beschwerde der Produktions- und Verleihfirma des neuen HARLAN-Films erwidert LÜTH in einem der Presse übergebenen "Offenen Brief" folgendes:
"Das Schwurgericht hat ebensowenig widerlegt, daß VEIT HARLAN für einen großen Zeitabschnitt des HITLER- Reiches der "Nazifilm Regisseur Nr. 1" und durch seinen "Jud Süß"-Film einer der wichtigsten Exponenten der mörderischen Judenhetze der Nazis war . . . Es mag im In- und Ausland Geschäftsleute geben, die sich an einer Wiederkehr HARLANs nicht stoßen. Das moralische Ansehen Deutschlands in der Welt darf aber nicht von robusten Geldverdienern erneut ruiniert werden. Denn Harlans Wiederauftreten muß kaum vernarbte Wunden wieder aufreißen und abklingendes Mißtrauen zum Schaden des deutschen Wiederaufbaus furchtbar erneuern. Es ist aus allen diesen Gründen nicht nur das Recht anständiger Deutscher, sondern sogar ihre Pflicht, sich im Kampf gegen diesen unwürdigen Repräsentanten des deutschen Films über den Protest hinaus auch zum Boykott bereitzuhalten." (BVerfGE 7, 198 (200))
Dem Aufruf folgte ein langer Rechtsstreit.
Der Fall LÜTH
Ein Bürger schreibt Verfassungsgeschichte
Die hamburgische Justiz sah auf Antrag der Filmproduzenten in den Äußerungen eine sittenwidrige Aufforderung zum Boykott, die Filmproduzenten müßten den drohenden Vermögensschaden nicht hinnehmen. Die Höhe der vorläufigen Sicherheitsleistung von 110.000 DM - in diesen Jahren war das eine geradezu utopische Summe für einen Gehaltsbezieher wie ERICH LÜTH - sie zeigt, auf welchen geradezu existenzbedrohenden Meinungskampf sich Lüth hier eingelassen hatte. Doch LÜTH gab nicht auf, legte Berufung ein und Lüth fand viele Freunde und Unterstützer. An den Universitäten, in der Kulturszene bilden sich regelrechte Anti- und Pro-HARLAN-Bewegungen, die in den nächsten Jahren heftig aufeinanderstoßen werden, Stuttgart, Köln, München, Frankfurt: Vor und in den Kinos kommt es zu Protest, oft auch zu rüden Prügelszenen. Etwa Januar 1952 vor zwei Freiburger Kinos. Vor den Eingängen verteilen einige Studenten Flugblätter, wiederholen dabei monoton die Worte VEIT HARLAN Jud Süss, VEIT HARLAN Jud Süss...
Tags drauf kommentiert die Stuttgarter Zeitung: "wenn man dann sah, wie zu dem Geschrei "Judenknechte" mit dem Gummiknüppel der Takt geschlagen wurde, glaubte man sich in Dritte Reich zurückversetzt. Man könnte die Liste dieser Kämpfe beliebig verlängern, LÜTH fand schließlich Fürsprecher im Bundestag, ADOLF ARNDT, der Kronjurist der SPD übernahm es, seine Verfassungsbeschwerde zu verfassen, doch es dauerte noch 7 lange Jahre, in denen LÜTH nur durch Solidaritätsspenden zu den drohenden Schadensersatz- und Prozesskosten über Wasser gehalten werden konnte. Bis im Jahre 1958 die Erlösung kam. Das Verfassungsgericht gab LÜTH recht. Bei dem für die Demokratie so wesentlichen Meinungskampf müssen wirtschaftliche Interessen Einzelner zurücktreten. Seitdem gilt der Boykottaufruf auch in der Bundesrepublik als zulässiges Mittel des geistigen Meinungskampfs.
Und als ich diese gute Nachricht gerade gehört hatte, so erzählte ERICH LÜTH später, "da traf ich im Ehrenhof des Hamburger Rathauses den damaligen Präsidenten des Hamburgischen Obersten Landgerichts HERBERT RUSCHWEY, einen seiner Gegenspieler, in der Hansestadt.
O-Ton ERICH LÜTH: "Und der ging nun mit offenen Armen auf mich zu und packte mich an den Schultern und sagte, nun wissen wir wenigstens, wie wir in Zukunft uns verhalten sollen, in solchen Prozessen und dann habe ich zu ihm gesagt, also - "tut mir leid, aber das hab ich von Anfang an gewußt."
und die gesamte Urteilsbegründung könnt ihr bei der Uni Würzburg nachlesen.
Bei der TU-Berlin wird hervorgehoben:
Das LÜTH-Urteil ist in zweierlei Weise ein ganz grundlegendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts:
Somit hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, daß der Boykottaufruf durch die Meinungsfreiheit geschützt wird.
Aber das Urteil, daß Boykottaufruf und Boykottwirkung schützt, hat auch Grenzen, wenn nicht Argumente, sondern eigene wirtschaftliche Macht dem Boykottaufruf Nachdruck verleihen sollen:
Dieser 'Schutz der Wirkung' muß stets im Zusammenhang mit dem Blinkfüer-Urteil gesehen werden, in der die Grenze dieses Schutzes gezeigt wird: beim Einsetzen von außerargumentativen Druckmitteln, die den Rezipienten es nehmen, frei nur aufgrund der Argumente entscheiden zu können.
Die kleine Hamburger Wochenzeitung "Blinkfüer" druckte in ihrer Rundfunk- und Fernsehbeilage die Programme von "westdeutschen und mitteldeutschen Sendern sowie den Sendern im Ostsektor Berlins" ab, weshalb Ende August 1961 (nach dem Mauerbau) der Axel Springer Verlag und andere Verlage in einem Rundschreiben an sämtliche Zeitungs- und Zeitschriftenhändler in Hamburg drohten:
... Sollte es deshalb einzelne Händler geben, die aus der Situation Profit schlagen möchten und trotzdem weiterhin Objekte führen, die der ULBRICHT-Propaganda Vorschub leisten, so werden die genannten Verlagshäuser prüfen, ob sie es verantworten können, zu solchen Händlern die Geschäftsbeziehungen fortzusetzen. Sie werden in der augenblicklichen Situation die Notwendigkeit dieses Appells verstehen. Damit Sie Ihre Kundschaft in der geeigneten Form unterrichten können, wird Sie Ihr Großhändler mit Handzetteln versorgen
Das durften sie nicht. Ich darf aber hier aufrufen, denn ich vertraue nur auf die Kraft meiner Argumente:
Boykottiert die Norisbank! |
Weitere Links:
Kontokündigung durch die Norisbank | Scherze mit Überweisungen | ||||
Rede ERICH LÜTHs über die Reichskristallnacht | |||||
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