Liebe Netzgemeinde!
Unter diesem Motto steht meine Empfehlung zur Medizin-, Technik-, Frauen- und Sozialgeschichte
Vor einigen Monaten las ich im Tagesspiegel (gedruckte Ausgabe) eine Besprechung eines amerikanischen Buches. So erfuhr ich erstmals, daß der Vibrator eine über 100jährige Geschichte hat. Die einzige deutschsprachige Rezension im Internet, die ich gefunden habe, ist in der Schweiz erschienen.
Es geht nicht um Dildos (die gibt es seit Jahrtausenden), sondern um Geräte, die mittels Erschütterungen ihre Wirkung erzielen. Deren Geschichte hat RACHEL P. MAINES, die an der Clarkson Engineering University in New York lehrte, erforscht. Der Guardian berichtet über die Schwierigkeiten, die sie dabei überwinden mußte:
The USA's largest museum, the Smithsonian, was unable to help but at the small, obscure Bakken museum of medical instruments in Minneapolis, she hit the jackpot: 11 perfectly preserved vibrators dating from the early 20th century.
MAINES was so excited by her findings that she wrote an article for the Bakken museum newsletter and began to present papers on the vibrator at universities... In June 1986, after her first article was published, MAINES encountered a more extreme reaction: she was fired by Clarkson University. 'They said my research would deter alumni from giving money. It's a rather conservative school.'
MAINES' 129 Seiten starkes Buch zur "Technologie des Orgasmus" ist deshalb an der Johns Hopkins Universität erschienen. Die Autorin hat ursprünglich in Frauenmagazinen der Jahrhundertwende nach Beziehungen zwischen Arbeit und Nadelarbeiten (work and needlework) gesucht. Zwischen Anzeigen für Seife und "emmenagogue" (Schwangerschaftsabbruchverursachende Kräuter) fand sie auch solche für Vibratoren, die versprachen: "all the penetrating pleasures of youth will throb in you again."
Ein erster, neun Seiten langer Artikel mit 51 Fußnoten im IEEE Technology and Society Magazine über "Socially Camouflaged Technologies" wurde beinahe nicht gedruckt, weil das "advisory board of the Institute of Electrical and Electronics Engineers" diesen für einen Scherz hielten. Inzwischen ist das Buch zum Thema bei der Johns Hopkins Universität erschienen.
Johns Hopkins University Press | books | History | The Technology of Orgasm
MAINES, RACHEL P.
The Technology of Orgasm: Hysteria, the Vibrator, and Women's Sexual Satisfaction.
Baltimore: The Johns Hopkins UP, 1999.
ISBN: 0-8018-59417
http://muse.jhu.edu/press/press_images/books/covers/f98mate.gif |
http://www.news.cornell.edu/chronicles/3.30.00/Maines.GIF |
Chapter One (mit zwei Abbildungen)
Bei Amazon schon mit Preisnachlass: RACHEL P. MAINES: The Technology of Orgasm
Die Autorin wurde mit dem Herbert-Feis-Preis ausgezeichnet.
Established in 1982, this annual prize, named after HERBERT FEIS (1893 - 1972), public servant and historian of recent American foreign policy, is intended to recognize the recent work of public historians or independent scholars.
This year's prize is awarded to: RACHEL P. MAINES for
The Technology of Orgasm: 'Hysteria', the Vibrator, and Women's Sexual Satisfaction, Johns Hopkins University Press (1998).
RACHEL MAINES in The Technology of Orgasm has dared to focus on a woman's clitoris. She has uncovered twin bodies of information about women's sexual satisfaction hidden within medical and technological history. In documenting androcentric models that cast female sexual responses as pathological, she has tracked the social construction of female sexuality diagnosed as "hysteria." And in studying treatments for this "female malady," she has probed the technologies employed by medical practitioners prescribing manual manipulation of female sexual organs for relief. Bold in conception and indefatigable in execution, MAINES's research has reached back over centuries of medical documentation; deep into archives of technology, advertising, and medicine; and across disciplines. Her persistence in pursuing her topic, in spite of general disbelief and at times outrage, upholds the intellectual freedom and originality that should be the mark of the truly independent scholar.
Aber ich will hier nicht zum Kauf, sondern zum Besuch von WWW-Seiten anregen. Deshalb zuerst mal etwas zum Inhalt und dazu einige ausgewählte Besprechungen und schließlich noch das einzige Vibratormuseum, das ich im Internet gefunden habe.
In der Besprechung in der Sunday Times - Lifestyle: Rattle and hum - lesen wir:
Frühe Vibratoren waren keine Heimwerkerinnengeräte, sondern medizinisches Werkzeug bei Gynäkologen. Hysterie habe als unbesiegbare Frauenkrankheit gegolten. Die Symptome hätten Ärzte im vorigen Jahrhundert mit Vibratoren zu beseitigen begonnen, weil niemand sonst die Aufgabe wollte. Wohl auch nicht die Gatten der hysterischen Frauen. Außerdem seien die Frauen immer wieder zur Behandlung gekommen und nicht an ihr gestorben. Die idealen Patientinnen, die wöchentlich Geld brachten. Ein zeitgenössischer Mediziner schätzte, daß zwei Drittel der Ärzteeinnahmen in den USA von der Hysteriebehandlung stammten.
In her book, MAINES quotes from the 1899 edition of the Merck Manual, used by doctors as a reference guide, which lists vulvular massage as a treatment for hysteria. (It also suggests sulphuric acid as a treatment for nymphomania!) In 1903, Dr SAMUEL HOWARD MONELL, discussing the treatment of hysteria, suggested that pelvic massage had "its brilliant advocates and they report wonderful results".
Der erste elektromechanische Vibrator wurde 1880 patentiert für Dr. JOSEPH MORTIMER GRANVILLE.
Damit war der Vibrator das fünfte Haushaltsgerät (obwohl er das erst später wurde), das elektrifiziert wurde - ein Jahrzehnt vor dem Staubsauger! (vorher Nähmaschine, Fön, Kessel and Toaster) Es gab auch Geräte mit Batterien, Wasserantrieb, Gas und Luftdruck.
Auch in der Ausstattung herrschte Vielfalt: mit Musik, mit Gabeln, mit ultravioletten Strahlen, an Decke, Fußboden oder Stühlen befestigt, aber auch schon tragbare Geräte. Und Sears bot ein Mehrzweckgerät für die Küche an. Die Verbreitung der Elektrizität nahm nämlich Gynäkologen einen Teil ihrer Monopolstellung, wie MICHAEL CASTLEMAN beschreibt:
But as the years passed, magazine advertisements began offering vibrators to, women for self-treatment of hysteria at home. The 1918 Sears Roebuck catalog touted one vibrator as a "very satisfactory...aid every woman appreciates." And an advertisement ill a 1921 issue of HEARSTs magazine urged men to buy the devices for their wives as Christmas gifts to keep them "young and pretty" and free from the scourge of hysteria.
In den zwanziger Jahren verschwanden die Vibratoren aus dem öffentlichen Blick, wohl weil die sexuelle Nutzung ins Bewußtsein drang. In "Widow's delight", einem Pornofilm der 1920er Jahre, zieht eine Frau den Vibrator ihrem "date" vor. Das Salonmagazin bezeichnet diese Entwicklung als "the perversely puritanical evolution of the feminine joystick."
Weitere Besprechungen:
Noch im April 1998 wurde im prüden Alabama (eine Art Gottesstaat innerhalb der USA, in dem auch schon mal die 10 Gebote zum Gesetz einer Kommune gemacht werden sollten - im gleichen Gesetz Sexspielzeuge und Glücksspiel verboten. Die Begründung: Der Vibrator "lacks serious literary, artistic, political or scientific value" - die Definition der Verfassung für Obszönität. Das Salonmagazin berichtet darüber und die American Civil Liberties Union kämpfte dagegen (Nadine Strossen: Bad Vibes in Alabama).
Wer in Alabama einen Vibrator anbot, konnte vorübergehend mit bis zu 10000$ Strafe oder einem Jahr Haft rechnen. Die Bestimmungen sind inzwischen durch ein Urteil wegen Verletzung der Privatsphäre außer Kraft gesetzt.
Andererseits bietet BETTY DODSON schon seit den 70er Jahren Masturbationskurse für Frauen, und ihre Homepage bietet viele Informationen und Ratschläge. Ihr Lieblingsvibrator ist von Hitachi:
http://www.bettydodson.com/hitachi806.jpg
Emailschild, Deutschland 1915
aus: ERHARD und EVAMARIA CIOLINA:
Emailschilder
Reihe "Mit Freude sammeln"
Battenberg Antiquitäten Katalog
Weltbild Ratgeber Verlage
München 2000
S. 164
Aber ABCNews weiß immerhin aus China erfreuliches zu berichten:
Even people in China can get their kicks with state-approved sex toys, according to Asiaweek. In 1992, with the support of the Beijing Family Planning Commission, doctors at Beijing Peoples Hospital opened the Adam and Eve Sex Health Shop. There, Beijingers can buy a vibrator called the Happiness Machine...
Nun noch die Ausstellung Das Vibratoren-Museum
Vier Seiten mit sw-Fotos von Vibratoren. Dort (Seite 2) auch das Modell T der Vibratoren - entworfen von HENRY FORD.
http://www.goodvibes.com/vibmuse/henry_fo.gif
Nebenbei habe ich noch ein anderes Museum entdeckt:
Das Museum der Menstruation und Frauengesundheit (museum of menstruation and women's health) Dort gibt es auch eine Meldung über das Buch und ein Interview mit RACHEL P. MAINES.
... und einen Verbraucherrat: Before You Buy a Vibrator
Die ISWFACE (pronounced 'ice face') - the International Sex Worker Foundation for Art, Culture and Education. hat ein historisches Bordell in Butte (Montana) erworben und versucht es als Museum zu erhalten. Auf der Homepage der gemeinnützigen Vereinigung könnt ihr auch eine Sammlung von Kunstwerken und Erinnerungsstücken besichtigen (und gegen Höchstgebot ersteigern), die im Dumas gefunden wurden, darunter zwei Vibratoren (vgl Surftipp 37/2000)
Hintergrundmusik: http://www.uniquelygifted.com/CandidCards/Music/good_vibrations.mid
Mit freundlichen Grüßen
Norbert Schnitzler
Mit Frauen kenne ich mich aus, ich habe schon viel drüber gelesen.