Eindrücke aus dem Hüttenmuseum Thale

Am 1. Dezember 1996 besuchte ich auf dem Rückweg von Westberlin nach Aachen den Ostharz und besichtigte auch das Hüttenmuseum in Thale. Es ist nicht nur ein Museum über die dortige Schwerindustrie sondern durch die Art seiner Präsentation auch ein Dokument der DDR-Geschichtsauffassung. Das brachte ihm auch eine ausführliche Erwähnung in "Das Magazin":

Auferstanden in Vitrinen
Fünfzig Jahre nach Gründung der DDR und zehn Jahre nach ihrem Untergang wird ihre Alltagsgeschichte heute neu entdeckt.
MANFRED GEBHARD und HEIDEMARIE HECHT konnten sie in Sammlungen, Ausstellungen und Museen besichtigen

Auf dem Gelände des ehemaligen Eisenhüttenwerkes in Thale im Harz ist es still geworden. Kaum etwas erinnert an die Zeit, als hier Tausende beschäftigt waren. Nur in einer kleinen Villa, in einer stillen Seitenstraße, ist sie noch zu besichtigen, jene Zeit, die vor zehn Jahren endete.

Hier gibt es noch die Wimpel der Wettbewerbssieger, die Fotos der »Helden der Arbeit«, das Modell vom »Erholungszentrum der Hüttenwerker«. Im Hüttenmuseum von Thale werden die fast vergessenen Worte und Begriffe wieder lebendig, die unser Leben über Jahrzehnte begleiteten. Der »Ökulei« (»ökonomisch-kultureller Leistungsvergleich« der Brigaden), die »Aktivisten der ersten Stunde«, die »Straße der Besten«. Auch von der »Freundschaftsschmelze« erfährt der Besucher, bei der gemeinsam mit Gästen aus dem sowjetischen Partnerbetrieb Stahl geschmolzen wurde, vermutlich in einer »Hochleistungsschicht«.

Die ständige Ausstellung in Thale präsentiert die Entwicklung des Werkes, gibt einen Einblick in die Hüttengeschichte und in die technischen, wissenschaftlichen, sozialen Erfolge. Museumsleiterin UTE TICHATSCHKE und ihre Mitarbeiter haben - nach langen Überlegungen - wenig geändert an der Exposition, die 1986 eröffnet worden war. Ein Raum über den Umweltschutz wurde 1991 neu eingerichtet, der Rest ist belassen worden - als abgeschlossene Epoche, als eine im doppelten Sinne historische Ausstellung. Eine vergangene Zeit ist zu besichtigen, aus der Sicht der Gestalter von damals, gewissermaßen ein historischer Blick auf die Historie.

So ist in Thale nicht zu sehen, wie die DDR wirklich war, auch nicht, wie sie sich in Thale zeigte. Hier ist festgehalten, wie sie selber gesehen werden wollte. Und was besonders wichtig schien, wurde auf Tafeln aus Edelstahl festgeschrieben, sozusagen für alle Ewigkeit. Da verwundert es nicht, daß die Ausstellung 1990 zunächst einmal geschlossen wurde. Und als sie 1991 wieder öffnete, wurden die Gestalter beschimpft und gescholten. Inzwischen zeigt sich ein entgegengesetzter Trend: Viele Besucher, ständig der heutigen Medienmeinung über den Staat DDR ausgesetzt, sind nun erfreut, ihre Geschichte nicht aus heutiger Sicht kommentiert zu bekommen. Die Meinungen reichen von »Schlimm! Nichts dazugelernt« bis »Gott sei dank, es ist noch da. Weiter so«.

Wie aber sollen sie weitermachen? Im Fundus des Museums liegt ein ganzes Zimmer voller Losungen, die damals, zumindest zum Teil, wörtlich befolgt wurden, aber aus heutiger Sicht oftmals nur noch komisch wirken. Sie wären geeignet für eine launige Ausstellung, die den Museumsbesuchern ein spöttisches Lächeln entlocken und damit Erfolg garantieren könnte. Aber gerade so einen Erfolg streben UTE TICHATSCHKE und ihre Mitarbeiter nicht an. Wenn sie in naher Zukunft daran gehen, die Zeit zwischen 1971 und 1989 neu aufzubereiten, kennen sie das Risiko: Der Blick auf die Geschichte hat ein kurzes Verfallsdatum. Er eignet sich nicht für die Ewigkeit in Edelstahl.

Ich habe 36 Fotos eingescannt (Katalog mit Vorschaubildern) und zeige auf den nächsten Seiten die wichtigsten davon. Die fotografierten Ausstellungstexte brauchen vielleicht etwas zu viel Ladezeit, aber die Lektüre liefert doch einige Erkenntnisse. So fiel mir z.B. die unterschiedliche Bewertung von Modernisierungen auf:

Daß die Ausstellung nach 1990 zumindest noch mal überprüft wurde, zeigt sich an der Währungseinheit DM:

"Erbrachten 1950 719 eingereichte Verbesserungsvorschläge einen Nutzen von 380024 DM, so waren es 1951 bereits 1327486 DM bei 1500 Verbesserungsvorschlägen."

Weitere Links:

Anschrift:
Walter-Rathenau-Straße 1
06502 Thale
Telefon: 03947/72256

Öffnungszeiten:
November bis April Dienstag - Sonntag von 9.00-17.00 Uhr
Mai bis Oktober Dienstag - Freitag von 9.00-17.00 Uhr Sa, So u. Feiertage von 9.00-18.00 Uhr...

Lage:
am Eingang zum Bodetal gegenüber der katholischen Kirche 5 min Entfernung zum Bahnhof, 3 min zum Busbahnhof Großparkplatz nur 3 min entfernt...

In der Ausstellung erfährt der Besucher wie die kleine, 1686 gegründete, Blechhütte sich zu einem industriellen Großbetrieb im 20. Jahrhundert entwickelte. So wurde 1831 in Thale die erste schmiedeeiserne Wagenachse Deutschlands hergestellt und 1835 das erste Blechgeschirremaillierwerk Europas gegründet...

Nachdem der Besucher die historische Entwicklung, Sozial- und Alltagsgeschichte eingeschlossen, von 1686 bis zur Gegenwart kennengelernt hat, wird ihm die technische und technologische Entwicklung der fünf großen Produktionsbereiche besonders durch Modelle verdeutlicht. Das sind z.B. im Raum Stahlwerk der Lichtbogenofen, im Raum Walzwerk das Poch und Hammerwerk, im Bereich Stanz- und Emaillierwerk eine Kurbelstufenpresse, im Bereich Behälter und Apparatebau ein Tank- und Emaillierofen und in der Pulvermetallurgie eine Pulverpresse. Ergänzt wird das Ganze mit typischen Erzeugnissen aus der Prodktionspalette.

Die Ausstellung informiert weiter über die Belastungen, die durch eine über 300-jährige Produktion für Mensch, Luft, Wasser und Boden entstanden. Der Besucher wird aufgefordert, selbst aktiv zu werden. Schiebetüren geben ihm zusätzliche Informationen, er kann an Bodenproben riechen, hört Industrie- und Naturgeräusche und kann die Unterschiede zwischen Schlacke und Stahl ertasten. [Über die DDR-Ausstellung erfahren wir hier nichts, aber im nächsten Text.]

Das Hüttenmuseum Thale wurde 1986 zum 300-jährigen Jubiläum von Eisenverhüttung und Eisenverarbeitung am Standort Thale eröffnet. Es zeigt die technische und technologische Entwicklung von Eisenverhüttung und Eisenverarbeitung am Beispiel eines Betriebes und dessen Entwicklung von den Anfängen als Blechhütte im Jahre 1686 bis hin zum industriellen Großbetrieb des 20. Jahrhunderts.

Das Museum ist vom Bahnhof in 5 min und vom Busbahnhof in 3 min in Richtung Bodetal zu erreichen. Erster Blickfang ist die Dampfspeicherlok Typ PLC/W1. Die feuerlose Dampflok rangierte im Bereich der EHW Thale AG Anschlußbahnen und war 1984 im RAW Meiningen nach alten Plänen gebaut worden. [Die war übrigens der Anlaß meines Besuches. Ich hoffte mehr Bahnexponate zu finden, wurde aber enttäuscht.]

Im Museum beginnt der Besucher seinen Rundgang im Foyerbereich, dem sich zwei Räume zur geschichtlichen und sozialen Entwicklung des Betriebes und seiner Beschäftigten von 1686 bis in die jüngste Vergangenheit anschließen. Der Prozeß des Verhüttens und der anschließenden Eisenverarbeitung wird dem Besucher an Hand von Funktionsmodellen (wie Rennofen, Hoher Ofen, Frischfeuer) veranschaulicht. Er erfährt, daß 1831 in Thale die erste schmiedeeiserne Wagenachse Deutschlands hergestellt und 1835 das erste Emaillierwerk Deutschlands gegründet wurde. Nachvollziehbar wird die Durchsetzung der industriellen Revolution im EHW Thale mit dem Bahnanschluß 1862 (Halberstadt-Thale), dem Einsatz der ersten zwei Dampfmaschinen 1868 und der Gründung der Aktiengesellschaft 1872.

Neben dem rasanten Wachsen des Werkes (1887 Neubau des Emaillierwerkes, 1895/97 Neubau des Warmblechwalzwerkes, 1902/03 Inbetriebnahme der Siemens-Martin-Öfen I und II) sind Zeugnisse aus dem Alltagsleben (Hüttengesangsvereinsfahne) und der Arbeiterbewegung zu sehen. Dargestellt ist auch die umfangreiche Rüstungsproduktion der EHW Thale AG. So verließen 1916 die ersten 30.000 deutschen Stahlhelme das Werk und wurden direkt an die Westfront geliefert. 1934 erhielt Thale, obwohl laut Versailler Vertrag verboten, das Monopol für Stahlhelmerzeugung. Auf einem Großfoto zu sehen ist die 1911 in der Ascherslebener Maschinenbau-AG gebaute doppeltwirkende Tandem-Walzenzugmaschine. Diese ingenieurtechnische Leistung hatte beinahe ein Jahrhundert Bestand. Die Dampfmaschine trieb über eine Kammwalze eine Blockwalzstraße mit einem Trio als Vorwalzgerüst, einem Trio als Fertigwalzgerüst und einem Duo als Polierwalzgerüst von 1911 bis zur Stillegung des Blockwalzwerkes 1990 an. Sie steht unter Denkmalschutz und ist aus Sicherheitsgründen z. Zt. nicht zugänglich. Im Museum ist sie als Funktionsmodell und auf einem Videofilm in Betrieb zu sehen. Nach 1945 wird die Geschichte des Betriebes als sowjetische Aktiengesellschaft (1946-1953) und als Volkseigener Betrieb gezeigt.

Verbindendes Element zu den fünf Räumen für die fünf ehemals großen Produktionsbereiche des EHW Thale (Stahlwerk, Block- und Blechwalzwerk, Stanz- und Emaillierwerk, Behälter- und Apparatebau und Pulvermetallurgie) ist ein Ausstellungsraum zu den Wechselbeziehungen zwischen Industriestandort EHW Thale, dem Ort Thale und der Umwelt. Er zeigt, welche Belastungen durch eine über 300jährige metallurgische Produktion für Mensch, Luft, Wasser und Boden entstanden sind. Der Besucher sieht einen Videofilm, hört Industrie- und Naturgeräusche, kann Bodenproben riechen und die Unterschiede zwischen Schlacke und poliertem Stahl ertasten.

Mittelpunkt der fünf technischen Räume sind die technologische Entwicklung der Produktionsbereiche, verdeutlicht durch Funktionmodelle (z. B. im Raum Stahlwerk der Lichtbogenofen, im Walzwerk das Poch- und Hammerwerk, im Stanz- und Emaillierwerk eine Kurbelstufenpresse, im Behälter-und Apparatebau der Tankemaillierofen und in der Pulvermetallurgie eine Pulverpresse) sowie Erzeugnisse aus der Produktionspalette...

Einleitung
Modelle
Auszeichnungen
Ausstellungstexte

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