1. "Menschenwürde"
2. "Geschäfte"
3. "Opfer"
4. "Einverständnis"
5. "alltägliches Leben"
6. "sexuelle Interessen von Erwachsenen"
Nachträge
Am 2. März 2014 schrieb ich nach langer Verärgerung, aber natürlich auch nach Sammeln von Argumenten "meinem" Ortsverein des Deutschen Kinderschutzbundes (DKSB):
Kinderschutzbund-Geschäftsstelle
Kirberichshofer Weg 27/29
52066 Aachen
Sehr geehrte Frau RADKE und Herr VOSSEN,
aufgrund jüngster Äußerungen des Bundesvorsitzenden möchte ich nicht länger Mitglied des Kinderschutzbundes sein und erkläre hiermit meinen Austritt.
Ich habe schon als Schüler 1973 durch eine Kampagne der Aktion Gemeinsinn (Macht Kindern nicht das Leben schwer)
eine Sensibilität für Kinderschutz entwickelt, und fand es ungerecht, daß mehr Menschen bei Tierschutzvereinen Mitglieder sind als beim Deutschen Kinderschutzbund. Deshalb bin ich schon vor Jahrzehnten eingetreten und inzwischen mehr als mein halbes Leben dabei, aber nicht aktiv. In Mitgliederversammlungen haben Sie mich nie gesehen. Mein größter Beitrag zum Kinderschutz ist ohnehin, daß ich kinderlos geblieben bin, und das ohne die antinatalistische Philosophie DAVID BENATARs zu kennen.
Auch bei Pro Familia, wo ich schon ähnlich früh eintrat, weil mich ärgerte, daß Aachen und Münster die einzigen nordrhein-westfälischen Kommunen waren, die die Schwangerschaftskonfliktberatung nicht bezuschussten, habe ich nicht am Vereinsleben teilgenommen.
Damals war eine Zeit, in der beide Vereine fortschrittlich waren. Jetzt aber lese ich von albernen schlecht durchdachten Forderungen, angeblich aus einem Interview Ihres Bundesvorsitzenden im Kölner Stadtanzeiger, das ich aber online nicht abrufen kann.
Auch der Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, HEINZ HILGERS, plädierte dafür, den Kauf und Verkauf solcher Bilder generell unter Strafe zu stellen. Es handle sich um einen schweren Verstoß gegen die Menschenwürde, wenn mit solchen Bildern Geschäfte gemacht würden, sagte HILGERS dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Schließlich würden die Opfer nicht nach ihrem Einverständnis gefragt. Man müsse aber darauf achten, dass die Politik nicht Dinge kriminalisiere, die zum alltäglichen Leben gehörten - etwa wenn Eltern im Urlaub ihre Kinder am Strand fotografierten.
Hier werden verschiedene Aspekte nicht durchdacht:
1. "Menschenwürde" |
oben |
Die Menschenwürde nach Art. 1 GG ist das wirkliche Supergrundrecht, nicht, wie der ehemalige Innenminister FRIEDRICH mal behauptete, die Sicherheit. Nachdem ich ein Semester lang die Vorlesungen der Hemmerle-Professorin HERTA DÄUBLER-GMELIN an der RWTH über Grundrechte gehört habe, verstehe ich sie weniger als vorher. Auch unter Juristen ist unklar, was der Menschenwürde entspricht und was nicht. Das meiste wird sowieso in konkreteren Bestimmungen anderer Artikel geregelt. Wenn doch mal etwas klar mit der Menschenwürde begründet wurde, haben andere gleich Einwände gebracht. Wieso sollte etwa das Auftreten in einer Peepshow gegen die Menschenwürde verstoßen (angeblich weil es keinen Kontakt zu den KundInnen gebe), aber Prostitution nicht (nach der gleichen Begründung). Warum wollen das aber die ProstitutionsgegnerInnen nicht einsehen? Ganz einfach: Weil es keine gemeinsam akzeptierte Definition gibt. Außerdem sind die Urteile bereits ein Vierteljahrhundert alt. Im Grunde kommen wir mit Menschenwürde schon fast in den Bereich von Ehre und Ehrenmorden. Wertvorstellungen knallen unversöhnbar aufeinander.
Literatur: Grundrechteschutz: Menschenwürde
Insbesondere bleibt HEINZ HILGERS jede Überlegung und Argumentation schuldig, was denn die "Schwere" des Verstoßes gegen die Menschenwürde der Kinder begründet, wo die Grenze zum leichten Verstoß wäre und warum die Dinge des alltäglichen Lebens (s.u.) ausgenommen werden können. Schon deshalb halte ich sein Interview für Geschwätz, und zwar für gefährliches Geschwätz.
2. "Geschäfte" |
oben |
Im Kapitalismus macht man mit allem möglichen Geschäfte und wird meist bei Erfolg dafür bewundert. Wenn manchmal doch Empörung dagegen aufkommt, zeugt das von einem Gespür dafür, daß es Wichtigeres als Geschäfte und Gewinne gibt, z.B. Bedarfsdeckung, Lebensqualität, Grundsätze des ehrbaren Kaufmanns usw.. Etwas heuchlerisch ist es aber, diesen Aspekt hier einzubringen. Bekanntlich sind die Geschäfte nur die Motive der Händler. Also wäre ein Verbot der gewerblichen Verbreitung, des Anbietens zum Kauf oder Download usw. die geeignete Maßnahme dagegen.
Dabei würden nicht erfaßt die Tauschringe, über die illegale Bilder vielfach verbreitet werden. Wer selbst Medien anbieten kann, soll nach kriminalpolizeilichen Erkenntnissen dort reinkommen und den gemeinsamen Medienpool nutzen können. Da geht es aber nicht um Geschäfte. Kinder und KonsumentInnen würde man bei Kriminalisierung des gewerblichen Aspekt komplett in Ruhe lassen.
Ich selbst finde den Aspekt der Geschäftsmäßigkeit, der Gewerblichkeit und der Gewinnerzielungsabsicht zweirangig, wenn nicht sogar drittrangig. Es reicht völlig, sich auf die Inhalte der Medien zu beschränken. Es hat eine lange Tradition, den Kauf nicht zu verfolgen. Schon im STGB von 1871, §184 wird nur das gewerbsmäßige Handeln kriminalisiert. Mir geht das heutige Recht mit seinen vielen Details und Paragraphen schon zu weit, ich rate aber allen, sich daran zu halten. Leicht werden Existenzen vernichtet, die Unverletztlichkeit der Wohnung wenn auch mit richterlicher Genehmigung verletzt, beschlagnahmte Gegenstände erst spät zurückgegeben oder vernichtet, selbst bei Unschuldigen.
Noch ein Gedanke zum Aspekt "Geschäfte": Was wäre denn beispielsweise, wenn Eltern illegale Fotos gewerblich verbreiteten, die Einnahmen aber für die Berufsausbildung oder das Studium der abgebildeten Kinder anlegten? Dann würden die Abgebildeten selbst davon profitieren. Ich erwähne dies, um Ihre Sensibilität für schlechte Argumente zu schärfen.
3. "Opfer" |
oben |
Die Verknüpfung von Opfer und Einverständnis weist in die richtige Richtung. Allerdings erkennt HILGERS das nicht. Er hätte z.B. darauf hinweisen können, daß die nackten Kinder in der Situation i.d.R. nicht mißbraucht, sondern nur beobachtet wurden, daß das Recht am eigenen Bild eine zivilrechtliche Konstruktion ist, daß unterschieden werden muß zwischen Genuß, Stolz und Freude beim unbekleideten Spielen und Handeln und dem Posieren unter Druck und auf Anweisung (wenn die Kinder "dazu bestimmt" würden). Das wäre auch nicht nett, wenn sie dabei nicht fotografiert würden oder bekleidet wären. Aber ist es auch ein Drama? Es ist doch allgemeines Lebensrisiko, daß man nicht immer freundlich behandelt wird, daß Mißgeschicke passieren, daß man in peinliche Situationen gerät.
Warum vergleicht HILGERS nicht verschiedene Formen des Bloßstellens: das Nacktfoto und das Video von Kindern mit Tieren? Da gibt es ja nicht nur Harmonie (Beispiel: Hund und Baby heulen gemeinsam), sondern auch Konflikt (Tiere, die Kinder umrennen oder erst gequält wurden und dann zurückschlagen usw.) In einer Diskussion hieß es, selbst Kindern, die unbefangen nackt waren, werde es irgendwann peinlich, wenn sie wissen, daß ihre Eltern Fotos online stellten. Das mag sein, gilt aber auch für die erwähnten Kinder mit Tieren? Ist eine Phase oder soll das denen etwa noch im Erwachsenenalter peinlich sein? Man erkennt sich doch gar nicht mehr. Mich erkennt man nicht mal mehr auf dem Führerschein von 1976, und da war ich schon erwachsen.Gegen die Opferrolle hilft eine Erziehung zur Widerstandsfähigkeit (Resilienz).
4. "Einverständnis" |
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Wer kann denn rechtswirksam das Einverständnis geben? Das sind doch sonst immer die Erziehungsberechtigten. Und die erlauben noch wirklich Schlimmeres, ohne daran gehindert zu werden. Schon bei der Beschneidungsdiskussion war ich enttäuscht von der Stellungnahme des DKSB, bin damals aber noch ruhig geblieben. Jetzt ist aber das Maß voll. Wenn es nach damaligen Vorschlägen - immerhin zu einer Körperverletzung - ginge, müßte HILGERS jetzt zu harmlosen Abbildungen auch nur fordern:
Soll beim Einverständnis bei Nacktfotos anderes Recht gelten als bei Fotos für Textilien? Versandhauskataloge gibt es ja nicht mehr, aber online wird doch noch Kinderkleidung verkauft. Wenn HILGERS das verschieden regeln will, wird damit das Signal gesendet, daß Nacktheit doch böse ist. Damit mag man in den USA ja im Mainstream schwimmen, aber logisch ist es nicht.
Außerdem bleibt noch das legale Modell: Möglichst viele Eltern machen Nacktfotos von ihren Kinden, im legalen Bereich auch posierend, warten bis zu Volljährigkeit und überlassen es dann den Fotografierten, über Veröffentlichung und gewerbliche Nutzung zu entscheiden. Wenn man bedenkt, wieviele Jugendliche sich gegenseitig auch explizite Nacktfotos mit den Smartphones schicken, würde das Einverständnis der auf den Bildern gezeigten im Erwachsenenalter zu einem legalen Angebot führen und sowohl den Dargestellten etwas Geld bringen wie den KundInnen eine legale Möglichkeit, für ihren Trieb etwas passendes zu sehen. Letztlich lobt man zwar den Alkoholiker, der Alkohol nur ansieht, aber nicht trinkt, die Pädophilen, die sich daran halten, was sie dürfen, und was nicht, und leibhaftige Kinder in Ruhe lassen, werden aber als Monster dargestellt (findet in den kurzen Zitaten HILGERS' keinen Beleg, ist aber der Eindruck aus der sonstigen Diskussion). Sogar Texte, Zeichnungen und Computeranimationen will man ihnen nicht gönnen.
5. "alltägliches Leben" |
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Die Aufforderung, nicht Dinge des alltäglichen Lebens zu kriminalisieren, halte ich für ein bloßes Lippenbekenntnis.
6. "sexuelle Interessen von Erwachsenen" |
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Dieser Aspekt wurde im FAZ-Artikel bzw. in der WELT vorher angesprochen: "Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, JOHANNES-WILHELM RÖRIG, sagte der Zeitung „Die Welt“: „Der Fall EDATHY zeigt klar, dass es hier eine Gesetzeslücke gibt.“ Diese Lücke müsse geschlossen werden: „Wenn Darstellungen von Kindern erzeugt werden, um sexuelle Interessen von Erwachsenen zu befriedigen, muss dies im Sinne eines besseren Kinderschutzes strafrechtlich sanktioniert werden.“
Hier wird nicht darauf geachtet, ob jemandem geschadet wird, sondern ein Unwerturteil über die Motive des Gebrauchs oder Mißbrauchs gefällt, das allein schon genügen soll, etwas zu verbieten (eine Gesetzeslücke zu schließen) Also selbst ein Kind, das fotografiert wurde, aufwächst und als Erwachsener die womöglich nie veröffentlichten Familienfotos mit ihm als Nackedei, sei es am Strand oder gar bei Doktorspielen mit anderen Kindern, erbt und selbst im Internet veröffentlicht, würde darunter fallen. Es gibt dadurch keine Opfer!
Ein solches Unwerturteil fällt man anscheinend nicht bei anderen Motiven. Schauen Sie sich an, wie Kinder in den USA "MMA"-Kämpfe austragen, blutige Kinderkämpfe im Käfig! Fotos davon sind vermutlich legal und werden es bleiben - wegen der "anständigen Motive" der Eltern. Ich aber meine, sexuellen Genuß zu erlangen, ist stets ein anständiges Motiv, wenn andere Menschen dadurch nicht geschädigt werden.
armes Opfer? nein:
Amor als Sieger des italienischen Barockmalers MICHELANGELO MERISI DA CARAVAGGIO. Das 156 x 113 cm messende Ölbild auf Leinwand entstand 1602 und befindet sich seit 1815 in den Staatlichen Museen zu Berlin. Wikipedia.
Persönlich halte ich religiöse Wahnvorstellungen nicht für ein anständiges Motiv. Aber niemand verbietet bisher (und ich fordere es auch nicht, s.u.), für andere zu beten. Mormonen taufen sogar nicht anwesende Verstorbene, wie z.B. ANNE FRANK. Auch hier spielt sich das eigentliche Geschehen nur im Kopf der "TäterInnen" ab. Wenn mein frommer Freund CHRISTOPH mit seinem charismatischem Lieblingspfarrer für mein Seelenheil beten würde, wäre mir das völlig schnuppe, selbst wenn Voodoo-AnhängerInnen etwas gegen mich unternehmen wollten, indem sie ein Püppchen mit Nadeln pieksen, würde ich davon nichts merken und deshalb schon gelassen bleiben. Die Religionsfreiheit erlaubt nicht nur solche Praktiken, auch die "allgemeine Handlungsfreiheit" (Art 2 GG) erlaubt Verhalten, das normale Menschen nicht verstehen. Man muß sich nicht für Banalitäten rechtfertigen.
Literatur: Grundrechteschutz: Freie Entfaltung der Persönlichkeit
Mit einem angeblich Betroffenen im KStA zu fragen: „Welchen guten Grund hat ein Erwachsener, sich Nacktaufnahmen von fremden Kindern zu kaufen und anzuschauen?“ ist ein völlig falscher Ansatz: Welchen guten Grund hat man für Karneval? Für Halloween? für Computerspiele? Eine freiheitliche Gesellschaft zeichnet sich auch dadurch aus, daß man aus individuellen Gründen, für die man niemandem Rechenschaft ablegen muß, handeln darf. Das nennt man "mündiger Bürger"
Ich habe diesen Aspekt nur der Vollständigkeit halber erwähnt, weil ich das Interview nicht im Original kenne. Womöglich hat sich Herr HILGERS auf den Kinderschutz beschränkt. Dann ist der Fokus nicht auf den Interessen von Erwachsenen. Da er aber "Geschäfte" genannt hat - s.o. - glaube ich mal, daß er sich nicht auf den Kinderschutz beschränkte.
Möglicherweise denken Sie ja auch vernünftiger, dann mögen Sie das verbandsintern vertreten. Ich wünsche Ihnen dann viel Erfolg.
Mit freundlichen Grüßen
Norbert Schnitzler
Trierer Straße 297
52078 Aachen
Nachträge |
oben |
Inzwischen bin ich vom Kinderschutz zum Denkmalschutz gewechselt und dem Rheinischen Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz beigetreten. Der DKSB-Ortsverein hat mich eingeladen, die Überlegungen im Verein zu vertreten, wozu ich keine Lust habe, und bestätigt, daß nicht alle HILGERS' Meinung teilen.
Im Januar 2014 war schon bekannt geworden, daß in Deutschland ~ 3 Kinder pro Woche von ihren Eltern umgebracht werden. Die Charité-Rechtsmediziner SASKIA GUDDAT und MICHAEL TSOKOS hatten darüber das Buch Deutschland misshandelt seine Kinder geschrieben. Im Interview mit dem DLF erklärte MICHAEL TSOKOS:Zunächst einmal sind die Mitarbeiter der Jugendämter heillos überfordert mit den Fallzahlen, da können sie gar nicht schnell reagieren, wenn sie 100, 120 Fallakten auf dem Tisch haben. Wie sollen sie da den Fall rausziehen, um den es jetzt wirklich geht, wo das Leben des Kindes akut bedroht ist? Dann gibt es die freien Träger, die in einer finanziellen Abhängigkeit von den Jugendämtern stehen. [...] Da tummeln sich jetzt aber auf dem Markt viele freie Träger, die mit dem Leid der Kinder – so kann man es tatsächlich auf den Punkt bringen – Kasse machen. Die verdienen damit ihr Geld, denn nur so lange wie der freie Träger das Kind in der Familie hält, das heißt also, dass die Familienhelfer in der Familie diese Kinder weiter betreuen und besuchen, nur solange wird Geld verdient.
Eine der Aufregung über den Fall EDATHY vergleichbare über diese Zustände konnte ich bei allen Recherchen inzwischen noch nicht finden. Sicher gab es zahlreiche Berichte über das Buch, aber man blieb nicht wochenlang am Thema dran. Wie überforderte Behörden zusätzlich noch vergleichsweise harmlose Nacktfotos verfolgen können sollen (oder wie demnächst die Polizei Mautpreller finden soll), wird ohnehin nicht geprüft. Auch ich hatte das Buch noch nicht so sehr bemerkt, daß ich es in meiner Austrittsmail anschnitt. Stattdessen erwähnte ich nur die DKSB-Erklärung zur Beschneidungsdebatte.
Hintergrundmusik: intheghetto.mid
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Text dazu