WWW-Tipp der Woche 28/2001

Neutral Moresnet
   Esperanto
   Versailler Vertrag
   Der Code NAPOLÉON
Galmei, Zink
Vielle Montagne
   Lommel
   Mühlheim
   Oberhausen
   Wiesloch
   Friedrichsegen
   Alston Moor
   weitere Zinkstandorte ohne Bezug zur Vielle Montagne
   Das Ende der Vielle Montagne
Cockerill

Preußen wurde zwar vor 300 Jahren Königreich, interessanter ist aber die Zeit vor ungefähr 200 Jahren. Im 18. Jahrhundert und teilweise auch im 19. war Preußen ein recht moderner Staat und oft an der Spitze. Um 1800 aber war Frankreich eindeutig moderner. Liberté, Egalité, Fraternité - gute Idee, aber die Umsetzung ist nicht nachahmenswert. Napoleons Niederlage aber brachte Preußen neue Chancen. Auf dem Wiener Kongreß bekam es das Rheinland. Eigentlich waren die Hohenzollern zwar an Erwerbungen oder zumindest Rückgabe im Osten interessiert, konnten sich damit aber nicht durchsetzen. Das Rheinland paßte nicht so gut: Viele Katholiken, die zudem die französische Besatzung und das französische Recht auch positiv aufgenommen hatten. Preußen kümmerte sich zwar sehr um die Entwicklung, wie sich später zeigte (Industrialisierung im Ruhrgebiet, Eisenbahnbau - wie schon in der vorigen Folge erwähnt, setzte ein preußischer Offizier nach der Niederlage NAPOLÉONs die französische Landvermessung fort), aber daran war beim Wiener Kongreß noch nicht gedacht worden. Sonst hätte man Preußen das Rheinland wahrscheinlich nicht gegeben. Es gab nämlich sogar um ein paar bodenschatzreiche Hektar Differenzen. Um die geht es in dieser Folge.

Am 7. Juli besuchte ich nämlich das Göhltalmuseum in Kelmis (Belgien), was mir eine Anregung ist. Es erinnert an Neutral Moresnet und seine Industrie.

Neutral Moresnet

Neutral Moresnet heißt heute Kelmis. Das Gebiet wurde neutralisiert, weil man sich nicht einigen konnte, wem es gehören sollte.

H. BINDELS zeigt in 3*Moresnet diese Karte dazu:


    http://www.citeweb.net/h.bindels/pics/3xmoresn.gif

vgl auch The Territory of Moresnet (by Didier Coeurnelle)

Moresnet, kleines neutrales Gebiet auf der belgisch-preußischen Grenze, 7 km südwestlich von Aachen, wird im W. von der belgischen Bahnlinie Lüttich-Bleiberg, im O. von der preußischen Linie Herbesthal-Aachen durchschnitten und umfaßt 550 Hektar. Der einzige Ort ist das Dorf Neutral=M. (auch Kelmis genannt) mit dem großartigen Galmeibergwerk Altenberg und 2800 Einw.; dicht daneben auf preußischem Gebiet liegt der Ort Preußisch=M. (650 Einw.) und 3 km südlich im belgischen Arrond. Verviers Belgisch=M. (1037 Einw.). Das Gebiet wurde 1816 gebildet und bis 1841 von Preußen und Belgien gemeinsam verwaltet, ihm dann aber eine eigene Verwaltung aus einem Bürgermeister und einem Rat von zehn Mitgliedern zugestanden. Für die Rechtspflege sind die preußischen und belgischen Gerichtshöfe nach Wahl zuständig; gültig ist der Code Napoléon. Belgien hat seit 1854 seine Gerichtseingesessenen, Preußen die seinigen seit 1874 zum Militärdienst herangezogen. Vgl. HOCH, Un territoire oublié au centre de l'Europe (Bern 1881)

Meyers Konversations-Lexikon. Ein Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens.
Fünfte, gänzlich neubearbeitete Auflage...
Zwölfter Band. Mauria bis Nordsee
Leipzig und Wien. Bibliographisches Institut 1896
S. 528

Im Göhltalmuseum gibt es auch ein Geländemodell, auf dem mit grauen Klötzchen die Grenzen des Neutralen Gebiets markiert sind. Wegen der Höhenunterschiede sehen die nicht mehr so gerade aus wie auf der Karte:

Hier ist auch gut der Dreiländerpunkt zu erkennen. Der Dreiländerpunkt wirbt heute vor allem mit seinem Labyrinth. Auf niederländischer Seite liegt der Ort Vaals und der höchste Punkt der Niederlande, über den sich BERND MÜLLENDER in der ZEIT lustig macht.

Kelmis selbst beschreibt seine Geografie so:

Über die Geschichte des Göhltales berichtet WILHELM DITHMAR in Der Esperanto-Staat Neutral-Moresnet (dazu später mehr)

In einem von Prof. Dr. ALFRED MINKE (Professeur à l'Université catholique de Louvain, Leiter des Eupener Staatsarchivs) beim Neujahrsempfang der IHK Eupen 1997 gehaltenen Vortrag über Die wirtschaftliche Entwicklung des Grenzlandes Eupen-Malmedy-St.Vith vom Ende des Ancien Régime bis 1940 erfahren wir z.B.

Neutral Moresnet hatte diese Flagge und hinter dem Link verbergen sich weitere Informationen über die niederländischen und belgischen Bürgermeister / Kommissare.

Bei "Zollgeschichte" werden mehrere Ansichtskarten mit Neutral Moresnet als Motiv gezeigt, bei dieser erkennt ihr gut die Grenzen:

Außerdem fand ich noch Informationen über die Mundart der Region. Belgium - Languages and dialects

Die umfangreichste Darstellung Neutral Moresnets hat aber CEES DAMEN ins Internet gestellt. Auch das Göhltalmuseum zeigt er in Bildern. Manches skurile Detail (wie z.B. inoffizielle Briefmarken oder die Bedeutung für die Esperanto-Bewegung) erfahrt ihr dort.

Mal ein Zwischenergebnis: Bis hierher dürfte klar sein, daß ein kleines an Rohstoffen reiches Gebiet beim Wiener Kongreß nicht Preußen, aber auch nicht den Niederlanden zugesprochen werden konnte, das große Ruhrgebiet aber ohne Probleme an Preußen fiel, weil dessen Rohstoffe noch nicht entdeckt waren. So gesehen ist das Rheinland Preußens Alaska.

Esperanto

Obwohl die Kunstsprache Esperanto erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts erfunden wurde, fand sie in Neutral Moresnet schon begeisterte Fürsprache. 1908 wurde dort ein Esperanto-Staat ausgerufen.

Encyclopædia Britannica Esperanto

 Encyclopædia Britannica Zamenhof, L.L.

WILHELM DITHMAR erinnert an die Vorbereitung der Esperanto-"Republik" vor den Toren Aachens: Der Esperanto-Staat Neutral-Moresnet

Bei CEES DAMEN gibt es je zwei Fragmente des Amikayo-Marsches, den Willy Huppermans zur Ausrufung der Republik Amikejo 1908 komponierte, in WAV- und MP3-Format.

Der Versailler Vertrag

Der Versailler Vertrag bestimmte:

II. Teil. Grenzen Deutschlands

Das hat für einige Verkehrswege kuriose Folgen gehabt, vgl. Kursbuchstrecke 48 Raeren - Weywertz (Vennbahn)

vgl. auch Die belgische Position in Versailles: Reparationen und territoriale Forderungen. Autor: JENS EHRHARDT Datum SS 2001

Übrigens verlor das Deutsche Reich durch den Versailler Vertrag (nach eine Abstimmung 1922) Ostoberschlesien und damit 79 % der Steinkohlenförderung, 75 % der Stahlerzeugung und 66 % der Zinkerzeugung

Die Encyclopædia Britannica: Eupen-et-Malmédy berichtet auch über Grenzkorrekturen nach dem Zweiten Weltkrieg:

Der Code NAPOLÉON

Der Code NAPOLÉON ist ein Begriff, mit dem das Zivilrecht der napoleonischen Zeit gemeint ist, vgl

BURNHAM weist aber auch auf Mängel und Schwächen hin (z.B. keine Gleichberechtigung der Geschlechter). Bei den "NAPOLEON Series" gibt es auch eine vollständige Übersetzung (ins Englische): Full Translation of the Civil Code.

Dieses Recht war in Neutral Moresnet noch in Kraft, als es anderswo schon weiterentwickelt (z.B. bzgl. der Zulassung von Gewerkschaften) worden war.

Galmei und Zink

Die Mineraliensammlung des Fachbereichs Chemie und Chemietechnik zeigt, wie Zinkspat, Galmei aus Kelmis / Neutral Moresnet aussieht:

Die Gemeinde Kelmis berichtet selbst über ihre Rohstoffe:

So eine kleine Gegend hatte natürlich viel Außenhandel, deshalb komme ich gleich noch zu anderen Industriestandorten wie z.B. Stolberg.

Der Naturpark Hohes Venn bietet gelegentlich Wanderungen Auf den Spuren von Kupfer und Messing an:

Das (noch nicht komplette) Stolberg. Alphabet der Heimatkunde definiert diese Begriffe um Galmei:

Beim Verlag Meyer und Meyer ist das Buch

erschienen

Galmeiveilchen findet man z.B. in der Werther Heide am (schon wieder N.) Napoleonsweg:

    Was macht die Bedeutung des Gebietes für Natura 2000 aus?
Im Gebiet Werther Heide, Napoleonsweg befinden sich hervorragend ausgebildete Schwermetallrasen und -heiden (6130), die sowohl die natürlichen als auch die anthropogen bedingten Schwermetall-Standorte im Naturraum trefflich repräsentieren und die artenreichsten Vorkommen ganz Deutschlands darstellen. Es sind bedeutende Refugialbiotope für die endemischen Galmei-Florenelemente im Raum Aachen - Stolberg mit dem Gelben Galmeiveilchen, der Galmei Grasnelke und dem Galmei-Hellerkraut sowie weiteren Halbtrockenrasenpflanzen.

Ein Dorf, das seit der kommunalen Neugliederung zu Stolberg gehört, ist Gressenich.

Kurioserweise habe ich als Kind in Stolberg-Werth gewohnt und bin mit dem Fahrrad bis in die Gegend der Grube Diepenlienchen vorgedrungen und erfahre erst jetzt, was ich damals nicht bemerkt habe.

Stolbergs Messingindustrie hatte unter NAPOLÉON "durch die Einführung der Gewerbefreiheit, also die Befreiung von jeglichem Zunftzwang, und durch großzügigen Straßenbau sowie sorgfältige Pflege der Technik" großen wirtschaftlichen Erfolg.

In preußischer Zeit mußte sich die Stolberger Industrie von Messing auf Zink umorientieren:

Das Stolberger Industriemuseum Zinkhütter Hof zeigt in seiner Ausstellung vor allem die Geschichte des Werkstoffs Zink und des Produktes Nadel.

Diese Abbildung eines Zinkofens könnt ihr als elektronische Postkarte verschicken
:
Galmei (Kieselzinkerz, Kieselgalmei, Kalamin, Hemimorphit, Smithonit, Zinkbaryth), Mineral aus der Ordnung der Silikate (Olivingruppe), findet sich meist in kleinen rhombischen, ausgezeichnet hemimorphischen, länglich tafelförmigen oder kurz und breit säulenförmigen, bisweilen auch pyramidenähnlichen, aufgewachsenen und zu Drusen, meist aber zu keil=, fächer=, nierenförmigen, traubigen oder kugeligen Gruppen verbundenen Kristallen, auch in feinstängeligen oder faserigen Aggregaten, feinkörnig, dicht bis erdig, ist farbls, meist verschieden hellfarbig, glasglänzend, durchsichtig bis undurchsichtig, Härte 5, spezifisches Gewicht. 3,35 - 3,50 und besteht aus kieselsaurem Zinkoxyd Zn2SiO4 + H2O mit 67,5 Proz. Zinkoxyd und 25 Proz. Kieselsäure. G. findet sich meist mit Zinkspat zusammen, jedoch auch auf Erzgängen neben Bleierzen und Zinkblende, bei Tarnowitz, in Polen und Galizien, bei Altenberg bei Aachen [Hervorhebung von mir. Altenberg bei Aachen bitte nicht mit Altenberg bei Dresden verwechseln, dort wurde Zinn abgebaut. N.S.], Iserlohn, Wiesloch in Baden, Raibl und Bleiberg in Kärnten, in Belgien, Derbyshire, auf Sardinien, an der Nordküste Spaniens bei Restosa und Cumillas, in den Provinzen Guipuzcoa und Santander, bei Rezbanya, Nertschinsk u. in Nordamerika. Früher stürzte man das Mineral als nutzlos über die Halde, doch wird es jetzt allgemein auf Zink verhüttet. Edler G., soviel wie Zinkspat.

Meyers Konversations-Lexikon. Ein Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens.
Fünfte, gänzlich neubearbeitete Auflage...
Siebenter Band. Gain bis Großkophta
Leipzig und Wien. Bibliographisches Institut 1894
S. 44

Einen Artikel über Zinkgewinnung aus

    Meyers Konversations-Lexikon. Ein Nachschlagewerk des allgemeinen Wissens.
    Fünfte, gänzlich neubearbeitete Auflage...
    Siebzehnter Band. Turkos bis Zz
    Leipzig und Wien. Bibliographisches Institut 1897
    S. nach 1032 - 1038

habe ich eingescannt und Euch online verfügbar gemacht.

Über Zinkverarbeitung informieren außerdem

Literatur

Es überrascht mich, daß ausgerechnet ein Sportbuchverlag auch was Vernünftiges im Programm hat, aber der Meyer & Meyer Verlag hat.

NORBERT GILSON:

Zu Fuß durch Aachens Industriegeschichte
(Aachener Spaziergänge Band 5)
Meyer & Meyer Verlag
Aachen 1997


http://www.meyer-meyer-sports.com/de/produkte/buch/titel/bilder/389124472x.jpg
Dieses Buch habe ich im Zinkhütter Hof gekauft und dort erfuhr ich auch erstmals von Neutral-Moresnet (HERBERT RUHLAND: Neutral-Moresnet, S. 234 ff)

GERHARD FEHL, DIETER KASPARI-KÜFFEN, LUTZ-HENNING MEYER (Hrsg)

Mit Wasser und Dampf ... 
Zeitzeugen der frühen Industrialisierung im Belgisch-Deutschen Grenzraum
Meyer & Meyer Verlag
2. Auflage 1992

296 Seiten, 145 ganzseitige s/w Fotos, Broschur, 24 x 26 cm
ISBN 3-89124-103-8
49,80 DM, 25,46 Euro

 

http://www.meyer-meyer-sports.com/de/produkte/buch/titel/bilder/3891241038.jpg

Hintergrundmusik: 16tons.mid. Der Titel wurde durch TENNESSEE ERNIE FORD berühmt. Zur Geschichte des Titels vgl. "Sixteen Tons - The Story Behind The Legend". Weil er mit Bergbau zu tun hat, habe ich ihn hier als Hintergrundmusik genommen, aber Kohlenbergbau ist etwas anderes als Metallbergbau, weil Galmei z.B. nicht explodiert. Schlagwetter sind keine Gefahr und in den Gängen konnten offene Flammen Licht spenden.

 

Die Tuchfabrik Aachen AG
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