Liebe Netzgemeinde,
Österreicher haben zwei Weltkriege angefangen.
"Österreicher... haben zwei Drittel der polnischen Juden ermordet. Österreicher haben die "Aktion Reinhard" geleitet, die Ausrottung der Juden im "Generalgouvernement" und in Bialystok. Österreicher haben dafür gesorgt, daß zwei Millionen Menschen aus den Ghettos getrieben wurden und aus den Schtetln, mit Prügeln und Tritten und Schüssen, in Viehwaggongs gepfercht, ohne Luft zum Atmen, in die Lager gekarrt, in die Lager der Aktion Reinhard, Belzec und Sobibor und Treblinka, daß sie, noch in den allerletzten Minuten erniedrigt, eng aneinandergedrängt an die dreißig Minuten lang erstickt sind in den Gaskammern an den eingeleiteten Motorabgasen. Der Mann, der für all das verantwortlich war, ODILO GLOBOCNIK, war Österreicher, HERMANN HÖFLE, seine rechte Hand, war Österreicher, die Kommandanten der beiden großen Vernichtungslager, auch sie waren Österreicher... ein Oberösterreicher, FRANZ STANGL, Kommandant von Treblinka... und der Tiroler FRANZ REICHLEITNER, Lagerleiter von Sobibor..."
(INGRID STROBL. Anna und das Anderle. Eine Recherche. Fischer Taschenbuchverlag, Collection S Fischer 2382, Frankfurt am Main 1995, S. 88f)
Wie viele Tiroler haben es wohl als Schicksalsfügung empfunden, daß ihr Gauleiter HOFER hieß, FRANZ HOFER? ...
Im Gegensatz zum ANDREAS konnte der FRANZ HOFER seinen Feinden zweimal entkommen und starb schließlich als gesuchter NS-Verbrecher und erfolgreicher Geschäftsmann... friedlich in seinem Bett in Mülheim an der Ruhr.
In der Tiroler Tageszeitung, der größten und meistgelesenen Zeitung des Landes, lud im Februar 1975 der Bundesvorstand der Volksbewegung für Südtirol zur feierlichen Beisetzung ein... Da wollte die Redaktion nicht zurückstehen und erwies nun ihrerseits dem "aufrechten Tiroler" die letzte Ehre: Der "einer alten Tiroler Familie Entstammende", schrieb ein "aufrechter Tiroler" aus der Redaktion, wurde 1933 verhaftet und "in einer aufsehenerregenden Aktion aus dem Innsbrucker Landesgericht befreit", worüber der Nachrufverfasser sich heute noch freut. Und es freut ihn auch, daß der Gauleiter HOFER seiner Politik, wie er schreibt, "eine starke persönliche Tiroler Note" verlieh.
Die alten Nazis kehrten auf ihre Posten zurück, die Mitläufer wurden von den Parteien als Wähler umworben. Und in Südtirol explodierten die ersten Bomben in dne Kasernen der Carabinieri, Bomben, gelegt von jungen Tiroler Bauernburschen, die für Ein Freies Südtirol kümpften, organisiert und ausgerüstet von älteren Herren, die es mit beiden HOFERs hielten, dem FRANZ und dem ANDREAS...
(STROBL, a.a.O., S. 28 ff umgestellt)
Ein an der Reichskristallnacht in Innsbruck beteiligter SS-Mann, LUIS SCHINTLHOLZER, wurde von der italienischen Justiz zweimal in Abwesenheit zu lebenslanger Haft wegen Beteiligung an einer Vergeltungsaktion der Waffen-SS, bei der der Ort Caviola niedergebrannt wurde und 40 Menschen ermordet wurden, verurteilt. In Deutschland (er lebte in Bielefeld unter richtigem Namen) saß er elf Monate in Untersuchungshaft, ehe das Verfahren eingestellt wurde.
"In der Tiroler Tageszeitung, die schon den Tod des Gauleiters HOFER beweint hat, erschienen zwei Todesanzeigen für den SS-Sturmbannführer a.D. Die "Kameradschaft IV, Tirol", der Waffen-SS gab "tief erschüttert" bekannt, daß "unser kamerad Major a.D. LUIS SCHINTLHOLZER, Träger des deutschen Kreuzes in Gold EK I und II, Infanteriesturmabzeichen sowie Nahkampfspange in Bronze für immer von uns gegangen ist. Wir werden stets seiner gedenkten. "Seine Ehre hieß Treue." In der zweiten Todesanzeige, auf derselben Seite, tat die Witwe kund: "Die Beisetzung ist am Freitag, dem 23. Juni 1989, um 14 Uhr am Pradler Friedhof. "Seine Ehre hiess Treue." Hiess, steht da, schwarz auf weiß, hiess mit ss. Darunter steht noch "MATHILDE SCHINTLHOLZER, Gattin, im Namen aller Kinder mit Familien und aller Verwandten."... Seine Tochter... hat, ein paar Tage nach den Todesanzeigen von Witwe und Kameraden, eine eigene drucken lassen, in derselben Zeitung, im selben Format, mit folgendem Text: "Die Anzeige zum Tod des ehemaligen SS-Sturmbannführers LUIS SCHINTLHOLZER mit dem SS-Treuespruch "Seine Ehre heißt Treue" erschien zu Unrecht im "Namen aller Kinder mit Familien". Wir distanzieren uns mit allem Nachdruck von dieser "Treueerklärung" zu einer Organisation, die für die NS-Verbrechen verantwortlich ist. Dr. EVA SCHINTLHOLZER-BARROWS, JOHN BARROWS, ROBIN BARROWS."
Die Kameraden haben getobt und nicht nur die alten Kameraden. Schon aus ihrem zweiten Namen, haben sie ihr in einer Flut von Briefen geschrieben, gehe hervor, auf welcher Seite sie stehe, sie werde den Lohn für ihre Schandtat schon noch erhalten. "Sie hat mich verraten und verkauft", seien die letzten Worte des SCHINTLHOLZER über diese Tochter gewesen, "Gott möge sie strafen".
(STROBL a.a.O. S. 49 ff)
In dieser Zeit lohnt sich ein Blick in das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes.
Das Dokumentationsarchiv betreut die Gedenkstätte für die Opfer des österreichischen Freiheitskampfes. Auf seiner Homepage findet man einiges zur Geschichte, z.B. Auszüge aus Büchern ("Publikationen" anklicken und dann weiterführende Links) und Projekte des Archivs Ich nenne einige Beispiele, empfehle aber, selbst vom Inhaltsverzeichnis ausgehend zu suchen. |
http://www.doew.at/bilder/morzin Die Gedenkstätte |
Aus der Publikation "Das Netz des Hasses. Rassistische, rechtsextreme und neonazistische Propaganda im Internet" kann man z.B. das Kapitel von MARTIN DIETZSCH und ANTON MAEGERLE "Befreite Zone" Thule-Netz? nachlesen, in dem auch Versuche Rechtsextremer, das CL-Netz zu unterwandern, behandelt werden.
Über die FPÖ findet ihr einiges im Archiv "Neues von ganz rechts", wo Meldungen ab Dezember 1995 nachgelesen werden können.
Ich erspare mir hier Zitate, der Hyperlink reicht mir, denn ich möchte lieber noch auf ein anderes Thema in diesem Zusammenhang kommen und aus dem Buch von INGRID STROBL weiter zitieren, das man nicht im Internet nachlesen kann.
"Das Anderle sieht aus wie ein Mädchen... Es ist ganz hilflos und verloren. Sein Köpfchen fällt zur Seite, einer der Männer hat einen Strick um den Hals geschlungen und zieht ihn zu. Dabei grinst er furchtbar gemein. Hinter ihm schärft ein anderer Mann an einem großen Wetzstein ein Messer. Direkt vor dem Anderle steht ein Mann, der noch böser dreinschaut als der mit dem Strick. Er hält ein dünnes Messer, mit dem er gleich dem Anderle die Kehle durchschneiden wird. Das sind die Juden, sagt der Herr Pfarrer, die haben das Anderle für einen Hut voll Gold seinem Patenonkelabgekauft. Und dann haben sie es ganz schrecklich gemartert. Sie haben mit Messern auf das Anderle eingestochen und haben ihm ein Stück von seiner Wange herausgeschnitten. Und dabei haben sie es verhöhnt wie unseren Heiland bei der Geißelung... Vergeblich versucht das hilflose bleiche Kind, mit seinen Ärmchen die bösen Männer von sich abzuhalten. Aber die Juden haben kein Mitleid. Sogar der Stein, sagt der Herr Pfarrer, auf dem sie das Anderle geschlachtet haben, hat sich erweicht, und man kann heute noch den Abdruck sehen, den das arme Kind darin hinterlassen hat. Der Stein heißt seitdem Judenstein... Und dann haben sie dem Anderle die Kehle durchgeschnitten, damit sein ganzes Blut herausrinnt. Das haben sie dann mitgenommen, weil sie das für ihre heidnischen Bräuche brauchen. Und dann haben sie das tote Kind an eine Birke gehängt, wo es seine arme Mutter gefunden hat... "
(STROBL. a.a.O. S. 9f umgestellt)
Im Gegensatz zu anderen Ritualmordlegenden ist diese vollständig konstruiert. In anderen Fällen hat es meist Fakten gegeben, an denen die Legende wachsen konnte (ein ermordetes Kind, einen Prozeß, Akten...) Die Anderele-Legende ist eine Erfindung das "Humanisten" HIPPOLYTH GUARINONI, die so gelungen war, daß sie die anderen Ritualmordgeschichten überlebte.
"Es muß, nachdem sich herumgesprochen hat in Europa, wie sie aussahen, die angeblichen Opfe der "jüdischen Blutgier", ein leichtes gewesen sein, eine Kindsleiche loszuwerden. Man müßte ihr nur mit dem Messer mehrere Schnitte zufügen und das Blut auslaufen lassen, schon lag der Fall klar auf der Hand. Die Juden des Ortes wurden dann, so sie das Volk nicht vorher erschlug, vor Gericht gestellt, in den Kerker geworfen, der Tortur unterzogen.
(STROBL, a.a.O. S. 34)
Bischof REINHOLD STECHER hat den Anderle-Kult verboten und in der Kapelle eine Tafel anbringen lassen, die erläutert, der "Judenstein" erinnere "an eine dunkle Bluttat, aber auch durch seinen Namen an manches Unrecht, das von Christen an den Juden begangen wurde." und mußte sich dafür noch in der Tiroler Kirchenzeitung verteidigen, er habe "mit keiner einzigen internationalen Organisation des Judentums in irgendeiner Verbindung" gestanden. Eine Bluttat, die keine war, Folter und Mord nur "manches Unrecht" und Gerüchte über die jüdische Weltverschwörung. Ein großer Sieg über den Antisemitismus war das bestimmt nicht.
Den Judenstein zeigt eine Seite über Rinn. Dort heißt es:
Die Zusammenfassung und das Inhaltsverzeichnis eines Buches von BERNHARD FRESACHER über den Anderlkult findet man im WWW.
"INGRID STROBL, geboren 1952, studierte Germanistik und Kunstgeschichte in Innsbruck und Wien und promovierte über "Rhetorik im Dritten Reich". Sie lebt als freie Autorin in Köln." heißt es im Klappentext zum zitierten Buch. Verschwiegen wird, daß sie nicht immer so frei lebte. Zunächst arbeitete sie vor allem für "Emma". Im Sonderheft "Sexualität" bezeichnete sie sich als "vögelfaul". Ende der achtziger Jahre wurde sie verhaftet und später zu fünf Jahren verurteilt, weil sie einen markierten Wecker gekauft hatte, der danach für einen Sprengstoffanschlag benutzt wurde. In der Folgezeit gab es eine Reihe ritueller Solidaritätsveranstaltungen. An der Tübinger Universität habe ich im Juli 1988 eine mit "Terroristinnen gibts zuhauf Isohaft für Weckerkauf" besprühte Wand aufgenommen. Im Deutschen Ärzteblatt vom 9. Februar 1989 fand ich einen Aufsatz von Die Haft scheint ihr gut getan zu haben, denn alles, was sie seither verfaßte, finde ich hervorragend. In der Haft begann sie mit der Erforschung jüdischen Widerstands. Von nun an kann ich wieder den Klappentext zitieren:
Im von mir zitierten Buch "Anna und das Anderle" bricht sie mit ihrem früheren Antizionismus "Was habe ich, was haben wir, die linken Antizionisten in Österreich und Deutschland, alles verbunden mit dem Wort Zionismus, was haben wir hineinphantasiert und hatten doch keine Ahnung von dem, was Zionismus alles bedeutet hat, früher, und heute bedeutet. Wir waren keine Bundisten, auch keine jüdischen Kommunisten, die HERZLs Gedanken verwarfen zugunsten der eigenen Utopie. Es gab gewiß gute Gründe, die Zionisten zu bekämpfen, im Polen, im Deutschland, im Frankreich der zwanziger und dreißiger Jahre, das waren aber niemals unsere Gründe... |
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Bei Amazon.de finde ich vier Titel von INGRID STROBL:
In Surftipp 4/2000 habe ich einerseits gegen den Wahlkampf der Frankfurter CDU gegen COHN-BENDIT gewettert. Dazu paßt eine ähnliche Erinnerung INGRID STROBLs an den Wahlkampf der ÖVP gegen BRUNO KREISKY:
"In Innsbruck fiel mir wieder der Wahlkampf von 1970 ein, als KREISKY gegen KLAUS kandidierte, den damals amtierenden Bundeskanzler. KLAUS hat für sich geworben mit der Losung "Ein echter Österreicher", ein "echter" nämlich im Gegensatz zum Juden und Emigranten KREISKY, und als gelte noch das Trachtenverbot [für Juden] von [Reichsstatthalter] SEYSS-INQUART, trug der "echte Österreicher" auf dem Wahlkampfplakat einen Trachtenjanker."
(STROBL a.a.O. S. 84)
andererseits habe ich versprochen, Fotos aus dem Museum Koenraad Bosman zu veröffentlichen. Die sind inzwischen fertig und in den erwähnten Surftipp eingebaut. Sie zeigen Notgeld aus Rees und ein Modell der Stadt im 17. Jahrhundert.
Mit freundlichen Grüßen
Norbert Schnitzler