Am 1. Februar 1830 war die Freude groß im Haniels Ruhrorter "Packhaus". Und was war der Anlaß? - Franz Haniel notierte es in seinem Taschenkalender:
"1830 Februar 1, morgens 8 1/2 Uhr wurde meine liebe Frau von einem Töchterchen glücklich entbunden, welches bei der Taufe den 12 Merz den Nahmen Thusnelde Emilie erhalten hat."
Nach 10 Söhnen (!) von denen allerdings zu diesem Zeitpunkt drei bereits verstorben waren, konnte das Ehepaar Franz und Friederike Haniel nun endlich auch die Geburt einer Tochter feiern.
Heute hätte man dieser Freude gewiß durch die Wahl anderer Vornamen Ausdruck verliehen, damals zählte jener zu den Favoriten. Die Freude war sozusagen "überkonfessionell", denn die protestantischen Haniels stifteten gleich der soeben entstehenden katholischen Gemeinde Ruhrorts eine Glocke, die auf den Namen Tousenelda Emilie Haniel getauft wurde.
Thusnelde bekam eine gute Ausbildung und verbrachte einige Zeit im großherzoglichen Pensionat in Mannheim. Dort freundete sie sich mit Clara von Schaper, der Tochter des Oberpräsidenten der Rheinlande, an. Fräulein von Schaper machte so auch die Bekanntschaft mit Thusneldes Bruder max, der sie später zur Frau nahm.
Max Haniel war in erster Ehe jedoch mit Friederike Cockerill verheiratet, einer Tochter von James Cockerill, der mit seinem Bruder John bei Lüttich und Aachen Industrieanlagen von gigantischen Ausmaßenb betrieb. Mit überlegener englischer Technik war bereits zum Beginn des 19. Jahrhunderts von dort aus die industrielle Revolution erstmals auf preußisches Gebiet gerollt.
Franz Haniel hatte natürlich reges Interesse am englischen Knowhow, denn er selbst war ja als Mitbegründer der Gutehoffnungshütte Industrieller geworden. Und eine Zusammenarbeit, zumal wenn sie durch familiäre Kontakte gestärkt wird, erschien allemal fruchtbarer als Konkurrenzkämpfe.
Nachdem also durch Max Haniel bereits eine Verbindung geschaffen war, wurde sie durch Thusnelde nun sogar noch kräftig ausgebaut. Denn sie heiratete am 15. Juni 1853 in Ruhrort Heinrich Cockerill, den jüngsten Sohn von James Cockerill. Das Ehepaar zog nach Aachen und entfaltete außerordentlich wohltätige Aktivitäten für die Stadt. Der Familienforscher Professor Macco schreibt 1905, die Cockerills hätten Gefallen daran gefunden, "in der Stille mit vollen Händen Wohltaten zu erweisen und das kommunale Interesse durch reiche Stiftungen zu fördern". Besonders Krankenhäuser und Schulen wurden reichlich bedacht.
Heinrich Cockerill galt als der wohlhabendste mann in Aachen. War er doch nicht nur Mitinhaber der Cockerillwerke in Seraing bei Lüttich (heute Cockerill Mechanical Industries als Teil des französisch-belgischen Cockerill-Sambre-Konzerns), sondern, genau wie seine Frau Thusnelde, auch Anteilseigner an den Haniel-Zechen Zollverein, Neumühl und Rheinpreußen, an der Gutehoffnungshütte und an der Firma Franz Haniel in Ruhrort.
Doch Thusnelde Haniels Leben spielte sich nicht nur auf der Sonnenseite ab. Sie wurde durch harte Schicksalsschläge getroffen: Ihr erstes Kind Franz verstarb mit zehn Jahren, Tochter Friederike wurde wenig älter als zwölf und ihr viertes Kind John nur acht Jahre alt. Einzig Tochter Lucy, geboren 1860, überlebte die Eltern.
Thusnelde Cockerill, geb. Haniel, verstarb im Alter von 73 Jahren, nur wenige Tage nach ihrem Mann im Januar 1903. Im Jahr ihrer Goldenen Hochzeit hat eine Infektion beider Leben beendet.
Über das Doppelbegräbnis in Aachen schreibt Professor Macco:
"Bei dem am 29. Januar mit großer Prachtentfaltung in Aachen veranstalteten Begräbnis des Ehepaars waren die Spitzen der Regierung, der Militär- und Polizeibehörde in Aachen und der Stadtverwaltung vertreten. Die unübersehbare Zahl von Kränzen, Blumen und Palmzweigen, sowie der endlose Zug Leidtragender, unter denen sich auch eine 60 Mann starke Abordnung Bergleute der Zechen "Zollverein" und "Rheinpreußen" und der Serainger Werke befand, zeugte für die Anteilnahme der Bevölkerung."
Noch über den Tod hinaus war die Spendenfreudigkeit wirksam. Tochter Lucy, in zweiter Ehe mit dem Wiesbadener Schriftsteller Richard Fleischer verheiratet, schickte der Firma Franz Haniel, die das Vermögen verwaltete, eine lange Liste mit Adressen, besonders von Krankenhäusern, Schulen und Stiftungen, an welche zum Gedenken an die Eltern bedeutende Spendenbeträge gehen sollten. So flossen alleine in den Aachener Raum noch einmal fast 100.000 Mark, was nach heutigem Maßstab ein Millionenbetrag wäre. Mit einer sehr großzügigen Spende wurden jedoch auch die Haniel-Zechen im ruhrgebiet (für Diakoniezwecke), die Cockerill-Stiftung in Seraing sowie der Pensionsfonds der Firma Franz Haniel in Ruhrort bedacht.
In Ruhrort wird man auch heute noch an Thusnelde Emilie Haniel erinnert. Nämlich immer dann, wenn das Geläut der katholischen Kirche St. Maximilian erklingt. Der hellste Ton, das ist "Thusnelde".
Haniel news. Zeitung für Mitarbeiter der Haniel-Gruppe
12 / Dezember 1997
S. 11
Autor vermutlich Bernhard Weber-Brosamer