<- Zurück Albert Verbo   02.06.2010 Vor ->

Sehr geehrter Herr Köhler,

vorgestern sind Sie von Ihrem Amt als Bundespräsident zurückgetreten. Vorausgegangen war eine ziemlich hochgeputschte mediale Aufregung um ein Interview, in dem Sie etwas falsches gesagt haben sollen.

Sie wurden scharf angegriffen. Ihnen wurden alle möglichen Dinge unterstellt, von ideologischen No-Gos wie „Kanonenbootpolitik“ bis hin zum persönlich angreifenden Attribut “Tapsigkeit“. Und all dies geschah mit Vehemenz, bevor Sie sich erklären und präzisieren konnten. Ein mittlerweile gut eingespielter gemischter Chor aus Medien und öffentlichen Personen zeigte „Gratis-Mut“ und stimmte in die Schelte ein. Teils für den Wählerfang, teils für die Auflage oder zur Steigerung der persönlichen Medienpräsenz.

Anscheinend konnten oder wollten Sie diesen Umgang mit Ihrer Person nicht aushalten.

Allerdings (und nun komme ich zum Punkt) sind Sie nicht der erste und einzige Mensch, der sich urplötzlich in der Rolle des öffentlichen Prügelknaben wiederfindet. In den populistischen Diskussionen nach Winnenden drosch der oben genannte Chor (in doch recht ähnlicher Besetzung) abwechselnd auf verschiedene Bevölkerungsgruppen ein. Da wurden Computerspieler zu soziopathischen Möchtegern-Amokläufern ernannt, engagierte Netzbürger mit Pädophilen gleichgesetzt und Sportschützen „Narrentum“ oder gleich eine „menschenverachtende Grundeinstellung“ bescheinigt (Zitat Britta Bannenberg, von den Grünen in die Expertenanhörung im Bundestag eingeladen).

Das saß.

Und nicht jeder ist in der Lage, solche Schmähungen einfach zu ignorieren. Das wissen Sie am besten, auch wenn man Sie namentlich angriff und nicht als Mitglied einer Bevölkerungsgruppe.

Nur, was tut der gemeine Bürger, wenn er sich derart angegriffen fühlt? Er kann sich nicht hinter seinem Amt verstecken und monieren, dass es den Kritikern an „Respekt vor dem Amt des Bundespräsidenten mangelt“. Es geht Ihnen auch nicht um das Amt. Im Grundgesetz heisst es nicht „Die Würde des Bundespräsidenten ist unantastbar“, es heisst „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Der diffamierte Bürger kann auch nicht einfach so zurücktreten. Er kann vielleicht Abonnements kündigen, zornige Briefe schreiben, mit Politikern sprechen oder aus der Kirche austreten. Ich weiss auch von Menschen, die frustriert ihr ehrenamtliches Engagement (ob als Kirchenmitglied oder Reservist der Bundeswehr) hingeschmissen oder zumindest in Frage gestellt haben, weil sie sich von der Gesellschaft stigmatisiert fühlten. Und ich muss Ihnen, Herr Köhler, sagen, dass mich gerade solche Geschichten abseits der Titelseiten weitaus mehr berühren und schockieren und dass ich den hier sichtbaren Schaden für unseren Staat für größer halte, als wenn ein Politiker medienwirksam sein Amt aufgibt. Politiker sind ersetzbar. Aber wer hunderttausende Menschen stigmatisiert und diffamiert (anstatt sich auf argumentativer Ebene mit ihnen auseinanderzusetzen), der riskiert, ihnen das Bewusstsein als „Bürger“ auszutreiben (ein Personaler würde von „innerer Kündigung“ sprechen). Wenn es um Menschen mit Behinderungen oder Migrationshintergrund geht, dann ist das eine Binsenweisheit. Es funktioniert aber eben auch beim Computerspieler, Hundebesitzer, Sportschützen oder anderen Gruppen. Und tausende von Ehrenamtlichen (deren Arbeit an anderer Stelle ja zu Recht immer wieder gelobt wird), Millionen von Menschen, die sich als Teil einer heterogenen und demokratischen Gesellschaft empfinden, die kann man nicht so leicht innerhalb von wenigen Wochen austauschen oder ersetzen.

Herr Köhler, erinnern Sie sich bitte zurück, an Ihre Rede bei der Trauerfeier in Winnenden. “Wie schnell fällt einer aus dem Rahmen – nur weil er anders ist, als wir es von ihm erwarten; nur weil wir zu bequem sind, um nachzudenken und unsere Schablonen zu korrigieren? Einen Menschen so wahrzunehmen, wie er ist – das ist die wichtigste Voraussetzung, um einander verstehen und annehmen zu können, um einander zu helfen.“

Wahre Worte.

Leider unterstellten Sie in der gleichen Rede den Konsumenten von bestimmten Computerspielen und Filmen einen Mangel an Selbstachtung. Das ist ein persönlicher Angriff, der dem der „Tapsigkeit“ in nichts nachsteht.

Lieber Herr Köhler, sie haben jetzt wieder mehr Zeit zum Nachdenken. Sie sind nicht mehr lange Bundespräsident, aber Sie bleiben Bürger.